Henkel: Die längerfristige Planbarkeit ist weg
retailreport.at: Konzerntechnisch geht es in den letzten Monaten rund: Einsparungen, Kürzungen, Spaltungen, etc. stehen an der Tagesordnung. Dazu kommt die angespannte Situation mit Österreich als Wirtschaftsstandort. Wie schafft man hier Resilienz als Unternehmen mit tausenden Mitarbeitern, die eventuell verunsichert sind und Aufmunterung brauchen?
Birgit Rechberger-Krammer: Die aktuelle Weltlage betrifft und trifft uns sehr. Es geht um Wirtschaft im internationalen Kontext, im europäischen und auch im österreichischen Kontext. Natürlich ist Europa, beziehungsweise die EU, für Henkel die Home-Base. Aber das Wirtschaften ist komplizierter geworden. Denn die EU ist in den letzten Jahren überregulierter und fragmentierter geworden. Eine Planbarkeit über einen längerfristigen Zeitraum hinweg ist nicht mehr gegeben. Wenn Sie Resilienz ansprechen, so kann ich zwar sagen, dass die EU-Kommission und die EU-Kommissäre uns zwar über die Verbände zuhören, aber die Anforderungen sind zum Teil grotesk. Da geht es um die Bezahlung einer 4. Klärstufe bei Kosmetik und Pharma, um das Verbot von Ethanol in Parfums oder um eine Beschränkung der Überkartons auf maximal 50% Luftraum - wenn ich eine Flasche mit Pumpe verkaufe, verstoße ich gegen diese Richtlinie. Man kann aber nicht immer nur verbieten, sondern muss für Auswirkungen den Realitätstest machen und mögliche Alternativen mitdenken!
Gibt es innerhalb der EU in irgendeiner Weise Verbesserungen? Etwas, worauf man bauen kann?
Es gibt den EU-Omnibus. Das ist eine Stelle, an der alle Regulierungen zusammenlaufen und man dann sehen kann, ob sich etwas komplett ausschließt oder widerspricht. Hier sind wir sowohl durch die Wirtschaftskammer Österreich als auch durch den Verband „Cosmetics Europe“ vertreten, der die Interessen von 9000 Kosmetikherstellern und damit einen Branchenumsatz von 81 Mrd. Euro vertritt. Trotzdem müssen sich Konzerne neu aufstellen, denn die legislativen Anforderungen verändern sich. Aufwand und Kosten steigen enorm an, man muss immer neu planen. Die Schaffung der Henkel Consumer Brands, die Zusammenlegung von Laundry & Home Care und Beauty Care, haben wir zum richtigen Zeitpunkt eingeleitet.
Die Henkel-Mitarbeiter spüren die Veränderungen. Wie geht man als Führungskraft damit um?
Das Wichtigste ist: mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommunizieren! Klar und deutlich und in voller Transparenz. Ich vertrete den Standpunkt, dass Führungskräfte Mitarbeitenden die Sichtweise des Unternehmens laufend näherbringen müssen, damit sie die Herausforderungen erkennen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können neue Verantwortungen übernehmen und müssen proaktiv agieren. Bei Henkel thematisieren wir daher regelmäßig unsere Aufgabenstellungen und schaffen damit Transparenz.
Wie schafft man es als internationaler Konzern, gute Mitarbeiter zu rekrutieren?
Zunächst ist wichtig, dass unsere Managerinnen und Manager ein gutes „Perspective & Judgement“-Vermögen haben, sie müssen also sowohl über eine klare Perspektive als auch über ein klares Urteilsvermögen verfügen. Als Konzern sind wir für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv, weil wir kompetitiv sind. Bei Kompensationen und Benefits liegen wir sehr gut im Vergleich zu anderen Unternehmen, wir produzieren in Vorarlberg und in Wien, wo wir vor allem auch eine regionale Konzern-Verantwortung wahrnehmen. Man kann hier also gut internationale Karriere machen über den Start in einem lokalen Team hinaus. Die Jungen rekrutieren wir von der Universität weg, sie kommen oft als Trainees zu uns, oder aber sie kommen aus dem Ausland - und sie kommen gerne nach Wien. Viele entscheiden sich für Henkel, weil wir einen guten, beweisbaren Purpose herzeigen können. Wir sind „Pioneers at heart for the good of generations“ – wir tun das im nächsten Jahr seit 150 Jahren! Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema, hier führend zu sein ist einer unserer Unternehmenswerte und somit Teil unserer Unternehmens-DNA.
Bei Henkel in Wien erkennt man einen hohen Frauenanteil. Ist das bewusst oder Zufall?
Schon unter meinem Vorgänger Günter Thumser wurde bei Management-Besetzungen kein Unterscheid zwischen den Geschlechtern gemacht. Heute haben wir bewusst zusätzlich viele Programme, die Frauen zwischen 30 und 40 Jahren unterstützen. Denn zu diesem Zeitpunkt ist jener Punkt erreicht, wo man sich familiär für Kinder entscheidet oder nicht. Und wir wollen diese Entscheidung für die Vereinbarkeit von Karriere und Familie erleichtern. Wir haben sogenannte „Lighthouse-Women“, also Vorbilder, die Kind und Job bei uns unter einen guten Hut gebracht haben. Wir bieten 1:1 Mentoring an, Smart Work-Möglichkeiten und vielen anderen Support. Henkel hat die Ambition, bis 2025 eine Gender Parity im Führungskräftebereich zu erreichen. In Österreich haben wir dieses Ziel bereits übertroffen.
Sie nannten das Stichwort „Entwicklung“. Wie wird bei Henkel Forschung & Entwicklung betrieben?
Henkel hat zuletzt insgesamt 2,7 Prozent des Umsatzes, also fast 600 Millionen Euro, in Forschung und Entwicklung investiert. Geforscht wird vernetzt, vielfach mit KI unterstützt, was die Prozesse beschleunigt und Synergien nutzen lässt. Die Enzymentwicklung funktioniert dank digitaler Technologien 10 Mal schneller als ohne. In meinem Business, bei Henkel Consumer Brands, haben wir fast 1.000 Forscherinnen und Forscher am Start, die in 16 globalen Forschungszentren Neuheiten entwickeln – von Sydney über Dubai, Tokyo, Bogotá, Düsseldorf, Hamburg bis nach Mexico und in die USA. Wir machen rund 50 Prozent unseres Umsatzes bei Henkel Consumer Brands mit neuen Produkten, also mit Neuheiten, die es vor 3 Jahren am Markt noch nicht gegeben hat. Wichtig ist uns auch der „Open Innovation“-Ansatz, also die enge Zusammenarbeit mit Universitäten, mit Startups, mit einem Venture Capital Fonds und vor allem auch mit unseren Lieferanten - hier gab es zuletzt fast 200 Kooperationen zur Entwicklung neuer Rohstoffe bzw. innovativer Rezepturen. „Networking“ ist also bei R&D das Um und Auf.
Was wird in Zukunft für Henkel als Unternehmen wichtig sein?
Es gibt viel zu bedenken, wenn es um die Zukunft geht: Wohin führen uns die vielen Regularien? Wie bekomme ich bessere Leistungen mit weniger Ressourceneinsatz? Wie erhalte ich die Langlebigkeit bei Textilien und optimiere den Waschzyklus? Gleichzeitig unterliegen alle Standorte einem internationalen Benchmarking. Die gute Nachricht, über die ich mich sehr freue, ist, dass wir für Österreich ein Millionen-Investment für ein neues Produktionsverfahren für Weichspüler getätigt haben – dabei ist Wien die Pilotfabrik für den Konzern.