Direkt zum Inhalt
Der erste Billa Kaufmann eröffnete in Gloggnitz

Happy Birthday, Billa Kaufmann!

Ein Kommentar von Hanspeter Madlberger über den Start der Billa Kaufleute in Österreich.

Der 1.200m2  große Billa Markt am Stadtrand von Gloggnitz hat seit 27. Oktober einen neuen Betreiber: Marko Miskovic, er ist der erste Billa Kaufmann im Lande. Er blickt auf eine 20 jährige Rewe-Karriere zurück, absolvierte seine kaufmännische Lehre bei Merkur und schaffte 2011 den Aufstieg zum Billa Marktleiter.

Sein "Frontwechsel" vom Arbeitnehmer- ins Arbeitgeber-Lager lässt sich mehrfach interpretieren:

  • Als ein durchaus erfreuliches Signal für die Branche, dass der Filialisierungs-Trend seinen Zenit überschritten hat und der Beruf des selbstständigen Kaufmanns an Attraktivität wieder zulegt. 
  • Als Zeichen der Aufbruchsstimmung in der Rewe Österreich, die mit dem  Format Billa Kaufmann vor allem tüchtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neue berufliche Perspektiven eröffnen will.
  • Und als Denkanstoß für die anderen LEH-Ketten im Land, einschließlich der Adeg, die Kooperation zwischen Groß- und Einzelhandel so zu konzipieren, dass sie sich auch in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten als eine tragfähige win-win-Partnerschaft bewährt.

Die 20 zu 80 Formel

Es bedarf schon einiger Raffinesse, das Vertragswerk zwischen Groß- und Einzelhandel so zu gestalten, dass beide Seiten trotz des herrschenden heftigen Preiswettbewerbs in der Branche akzeptable Renditen erzielen. Jungkaufmann Miskovic ist jedenfalls zu wünschen, dass er als Selbstständiger schon bald mehr verdient, als zuletzt in seinem Marktleiter-Job. Schließlich muss er auch mehr Risiken in Kauf nehmen.

Brian Beck leitet seit Juli 2022 als Vorstandsmitglied der Billa AG das neue Ressort "Großhandel und Kaufleute" und zeichnet in dieser Funktion für die Einführung und den  Aufbau  des Partnerschafts-Modells hauptverantwortlich. Der Billa Kaufmann, ein klassisches Joint Venture, bei dem Kaufmann/Kauffrau und Billa eine gemeinsame Betriebsgesellschaft in der Rechtsform einer  OG (Offene Gesellschaft, früher OHG genannt) errichten. 80% der Anteile hält der Einzelhändler, 20% der Großhandels-Partner. Als  einen "niedrig fünfstelligen Betrag" beziffert Beck die Eigenmittel, die der Kaufmann für den Erwerb des 80%-Eigenkapital-Anteils aufbringen muss. Allenfalls kann Billa bei der Vermittlung einer günstigen Finanzierung behilflich sein.

Billa stellt seinem Einzelhandelspartner auch die Immobilie samt Geschäftsausstattung zur Verfügung, der Kaufmann trägt die laufenden Betriebskosten und zahlt an Billa eine branchenübliche Miete. Man darf vermuten, dass es sich dabei, im Interesse der Risikominimierung für den Startup-Unternehmer, in der Regel um eine umsatzabhängig Miete handelt. Beck hält jedoch in dieser Frage bedeckt. Bemerkenswert aber ist: Nur größere Billa-Filialen mit Verkaufsflächen von 800 bis 1200 m2 sind für die "Privatisierung" vorgesehen. Gerade diesem Supermarkt-Format mit Standorten im urbanen Bereich werden in der Fachwelt die besten Umsatz- und Ertragsaussichten sowie gute Chancen zugesprochen, sich gegen Discounter zu behaupten. Genau genommen ist übrigens der Begriff "Privatisierung" unzutreffend. Denn auch Filialsysteme von Billa oder Spar zählen zur Privatwirtschaft,  Filialen können daher gar nicht "privatisiert" zu werden.

Viel Pflicht und wenig Kür bei Sortiment und Preispolitik

Sortiment und Preispolitik sind, neben dem kundenfreundlichen Service die Fundamente des Einzelhändler-Erfolges. Als eine Art Franchisenehmer absolvieren Miskovic und jene, die seinem Beispiel folgen, ein umfangreiches Pflicht- und ein überschaubares Kürprogramm. Ein Rundgang durch den Markt in Gloggnitz vermittelt den Eindruck, dass das Angebot an Frischwaren, Herstellermarken und Eigenmarken praktisch identisch ist mit jenem einer Billa-Filiale dieser Größenklasse. Das gilt gleichermaßen für die Regalpreise und für das Aktionsangebot, das bei Billa heuer so umfangreich ist, wie in den Jahren vor 2020. Wo Billa draufsteht, muss auch das gesamte Billa Leistungsspektrum vorzufinden sein. Denn andernfalls würden die von der  starken Billa-Werbung angelockten Kunden den Markt fluchtartig verlassen. Theoretisch kann zwar der Billa Kaufmann die Auswahl und die Preise autonom gestalten. In der Wettbewerbspraxis aber liefert das Billa Filialsystem dem Billa-Kaufmann eine Blaupause für seinen Marktauftritt, die er nicht ignorieren darf.

Zu welchen Konditionen der Großhändler Billa seine Billa Kaufleute beliefert, ob es auch eine mengenabhängige Staffelung der Einkaufspreise gibt, ob Billa-Verträge mit den Filial-Direktlieferanten automatisch für den Kaufmann gelten, darüber hätten wir gerne Informationen eingeholt. Leider ließ sich Herr Beck bei diesem Thema nicht in die Karten blicken. Aber wir bleiben dran am Thema.  

Mehrwert durch mehr Regionalität und Individualität

Umso nachdrücklicher hebt der Pate des Billa Kaufmanns hervor, wieviel Spielraum seine Schützlinge bei der individuellen  Gestaltung ihres lokalen und regionalen Angebots haben. So bezieht Miskovic mehr als 160 Produkte von 30 lokalen Lieferanten. Beispielsweise von der Fleischerei Kabinger, deren Spezialitäten zu beiden Seiten des Semmering nicht nur in zahlreichen Billa-Filialen sondern auch bei Spar und anderen Mitbewerbern erhältlich sind. Viel Profilierungspotential bietet das Feinkost-Angebot in der Bedientheke und in den Kühlregalen. Selbst zubereitete Aufstriche, Kaffee-Ausschank in der Kassenzone und eine Kinder-Spielecke sind Ausdruck eines Mikromarketing, das um Kundennähe und Profilierung im Wettbewerb bemüht ist.

Billa-Gründer Karl Wlaschek galt seinerzeit als Pionier der perfekt durchorganisierten Supermarkt-Filiale. Das genossenschaftliche Unternehmen Rewe befindet sich zu hundert Prozent im Eigentum von rund 1800 selbstständigen Kaufleuten. Größer kann der Unterschied in der DNA von Handelsfirmen kaum sein. Der Billa-Kaufmann, nach dem Vorbild der in Deutschland entwickelten Partnerschafts-Modelle konzipiert, ist sozusagen, die Cuvée dieser beiden Unternehmens-Philosophien. Die Whisky-Erzeuger würden von Blending reden. Das Beste aus beiden Welten, so lautet jedenfalls der plakative Anspruch, der freilich seine Erfolgstauglichkeit erst unter Beweis stellen muss.

Vorsichtiger Expansionskurs

Weshalb Beck das Projekt Billa Kaufmann, dem eine zweijährige Vorbereitungsphase vorausging, mit der gebotenen Vorsicht in Angriff nimmt. Noch heuer sollen zwei weitere Billa Kaufmanns-Standorte an den Start gehen. Einer in Wien 14., der andere in Pötsching (Burgenland). Per Ende 2023 soll die Kette bereits 15 Billa Kaufmannsmärkte umfassen, Volker Hornsteiner kehrt in wenigen Monaten von Bayern nach Österreich zurück und startet seine Unternehmer-Karriere als erster Billa Plus Kaufmann. Becks Masterplan sieht vor, dass es 2026 bereits 100 Billa Plus Kaufleute geben wird. Einzelhändler anderer Ketten für  das Modell zu akquirieren, steht, zumindest in der Startphase, nicht auf der Agenda. Das gilt ganz besonders für die Kaufleute der Adeg, deren eigenständige Positionierung als Nahversorger im ländlichen Raum unangetastet bleibt. "Adeg Kaufmann und Billa Kaufmann sind zwei ganz unterschiedliche Kooperations-Systeme", betont Beck.

Übrigens, neben Adeg und Billa Kaufmann betreibt die Rewe hierzulande noch zwei weitere Partnerschaften mit selbstständigen Einzelhändlern. Mit Jürgen Sutterlüty und seinen Ländle Märkten und den Pächtern von Tankstellen, deren Convenience Shops das Billa-Label tragen. Jüngster Einzelhandelspartner auf Becks Großhandels-Kundenliste sind die Tankstellenshops der OMV.

Kategorien

geschrieben am

28.10.2022