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Bundeskanzler Karl Nehammer am Handelskolloquium 2023

Handelskolloquium: Paradigmenwechsel?

Die 33. Ausgabe des Handelskolloquiums des Handelsverbandes in Wien brachte rund 500 Experten der Branche zusammen. Auch Bundeskanzler Karl Nehammer war zu Gast.

In Zeiten multipler Krisen für Handel und die gesamte Wirtschaft tut es gut zu hören, wie es dem jeweilig anderen Marktteilnehmer geht. Dazu gab es beim Handelskolloquium in Wien reichlich Gelegenheit: 500 Gäste über den ganzen Tag verteilt besuchten den Event und tauschten sich untereinander aus. Über Teuerung, neue Technologien wie KI, Lieferketten, Nachhaltigkeit und Neue Produkte wurde diskutiert.

Ein breiter Fächer an Themen hält den Handel und die liefernde Industrie auf Trab. Lieferkette, Teuerungen, veränderte Konsumverhalten treffen auf Zukunftsthemen wie den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), Autarkie bei Energie und neue Arbeitsmodelle. Eine spannende Podiumsdiskussion mit Interspar-Geschäftsführer Johannes Holzleitner, Peter Hildebrand, CEO von Betten Reiter, Franz Essl von der UNI Wien und Anna Leitner von Global 2000 versuchte die Antwort auf die Frage: „Warum Kapitalismus und Klimaschutz kein Widerspruch sein müssen“.

Ehrliches Grün statt green washing

Denn eines ist prinzipiell klar: das Thema Klima- und Umweltschutz steht auf der Agenda ALLER Unternehmen ganz weit vorne. „Wobei man in Zukunft vorsichtig sein muss“, weiß Jurist bei Taylor Wessing, Martin Prohaska-Marchried. „Die EU ist dabei das Thema ‚Greenwashing‘ genau unter die Lupe zu nehmen“. Nachdem das Thema auch in Österreich durch den VKI detailliert angesehen wird, hat auch die EU Kommission die Themen vorangetrieben und am 22. März die „Green Claims Richtlinie“ veröffentlicht. Es kommt in gewissen Bereichen zu einem Paradigmenwechsel: das Unternehmen muss sich selbst darum bemühen, dass die nachhaltigen Zertifikate auch ‚in Ordnung‘ sind. Bei Nichteinhaltung der Richtlinie droht ein Bußgeld von 4% des Umsatzes. Nachhaltigkeit wird in Zukunft kein Alleinstellungsmerkmal von einzelnen Vorzeigeunternehmen sein und auch genau kontrolliert werden.

PwC Studie unterstreicht das

Eine Studie des Beraters PwC unterreicht auch die Bedeutung von Klimaschutz in den Unternehmen:

  • Mehr als ein Viertel (28 %) der österreichischen CEOs geht davon aus, dass ihre Unternehmen in den nächsten fünf Jahren von den Auswirkungen des Klimawandels stark oder sehr stark betroffen sein werden. 
  • 90 % der heimischen Unternehmen haben bereits Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen umgesetzt oder arbeiten aktuell daran, im Vergleich zu 75 % auf EU-Ebene, 70 % in der APAC-Region und 59 % in den USA. 
  • Berichtspflichtige Unternehmen müssen sich bereits jetzt auf die kommende Regulatorik der Europäischen Kommission vorbereiten.

Ohne Kapitalismus kein Klimaschutz

Aber zurück zum Kapitalismus. Peter Hildebrand, CEO von Betten Reiter, ist für seine prägnanten und klaren Aussagen bekannt. Er bringt es auf den Punkt: „Wir sind in der Gesellschaft nun einmal da, wo wir sind“. Er meinte, das Rad zurückdrehen sei schwierig, umso wichtiger ist es zu sagen: ohne Kapitalismus kann Klimaschutz nicht realisiert werden. Eine Podiumspartnerin wehrt sich: erst der Kapitalismus hat uns in diese Situation gebracht. Anna Leitner von Global 2000 geht etwas milder mit der aktuellen Situation um, auch wenn sie der Wirtschaft in der Vergangenheit Lobbying im Sinne des Kapitalismus und Gewinne Machens vorwirft: „Müssen Kapitalismus und Nachhaltigkeit immer in Konkurrenz stehen? Ist es nicht eine Frage, wie Führungskräfte mit den nachhaltigen Themen umgehen? Und sollte man nicht ein Gehalt vereinbaren, an dem die Führungskräfte variable Beteiligungen an den messbaren Erfolgen von nachhaltigen Maßnahmen im Unternehmen haben“?

Aus der Sicht des Händlers

Gerade der Lebensmittelhandel hört immer wieder Vorwürfe in Richtung gelebter/nicht gelebter Nachhaltigkeit. Johannes Holzleitner, CEO Interspar, bringt es auf den Punkt:“ Der Handel ist ein Teil der Lösung“. Er spricht dabei zahlreiche Maßnahmen aus dem Lebensmittelhandel an, die schon ‚state oft he art‘ sind: Photovoltaik, regionale Produkte, nachhaltige Sortimente, Herkunftskennzeichnungen, Tierwohlprogramme und ein guter neuer Zugang bei der Verbauung von Flächen – um nur einige Maßnahmen zu nennen. Zum Beispiel: Spar hat 1500 Standorte in Österreich, 40% davon sind ‚überbaut‘ (Stockwerke, unter einem Wohnhaus, ..) oder haben Mehrfachnutzung. Insgesamt, so Holzleitner, ist der Lebensmittelhandel für nur 0,3% der neuen Flächenversiegelung in Österreich verantwortlich.

Wo liegen die Herausforderungen für die Wirtschaft?

Christoph Badelt, Fiskalrat Austria und Jürgen Bierbaumer, WIFO, machten sich Gedanken darüber, wie man den sozialökologischen Transformationsprozess am besten bewältigt. Wie geht man mit technischen Neuerungen und wie mit Arbeitskräftemangel und Klimawandel um?

„Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich in die Nesseln setzte“, so Christoph Badelt, „grundsätzlich sind die hohen Energiepreise ein Segen“. Man setze sich erstmals damit auseinander, WAS, WIEVIEL man WOFÜR wirklich braucht. „Die Steigerung der Kosten ging einfach zu rasant und machte zuviel Angst, aber ein Anstieg der Kosten war schon lange notwendig“, so Badelt. „Was wir brauchen, ist eine Transparenz bei den Kosten“. Auch er sieht im übrigen heute kaum bis keine Alternativen zum Kapitalismus in unseren Regionen. Für Badelt ist die Einhaltung des Klimaschutzgesetztes wichtig, aber auch ein genaues Hinschauen auf Subventionen (viele werden doppelt vergeben), sowie auf klimaschädliche Investitionen.

Konjunkturreport Einzelhandel

Gemeinsam mit dem WIFO hat der Handelsverband einen Konjukturreport Einzelhandel veröffentlicht.

  • Im Einklang mit der internationalen wirtschaftlichen Eintrübung kühlte die heimische Konjunktur zu Jahresbeginn 2023 ab. Das BIP in Q1 2023 dürfte gegenüber dem Vorquartal leicht gesunken sein.
  • Nach einer starken Umsatzentwicklung im Einzelhandel im November und Dezember 2022 fiel der Geschäftsgang im Jänner und Februar 2023 – vor allem im Non-Food-Handel – deutlich schlechter aus.
  • Nachdem der Anstieg der Verbraucherpreise im Jänner und Februar 2023 rund 11% betragen hatte, hat sich die Inflation im März auf 9,2% zumindest eingebremst.
  • Die Stimmung der Händler hat sich seit Oktober 2022 kontinuierlich verbessert, wobei zuletzt eine leichte Abschwächung zu beobachten war. Die unternehmerischen Erwartungen haben sich im März erneut gesteigert.
  • Spiegelbildlich ist auch der Indikator zum Konsumentenvertrauen seit Oktober angestiegen, wobei die positive Dynamik zuletzt etwas abgeflacht ist.
  • Die Sparquote der österreichischen Haushalte ist 2022 auf 8,8% gefallen, 2023 dürfte sie in einer ähnlichen Größenordnung bei rund 8% bleiben, 2024 wieder ansteigen.

Nominell setzte der Einzelhandel im Dezember 2022 laut Statistik Austria kalenderbereinigt um +9,4% mehr um als im Jahr zuvor. Im Jänner 2023 betrug der Zuwachs +7,3%, im Februar +6,3%. Inflationsbereinigt (real) entspricht das allerdings kalenderbereinigt einem Umsatzrückgang von -3,3% im Jänner und -4,0% im Februar. 

Vor allem der Non-Food-Einzelhandel verlor in den letzten beiden Monaten deutlich an Schwung (Jänner +3,4%, Februar +3,7% nominell). Der Lebensmitteleinzelhandel verbuchte zu Jahresbeginn einen etwas höheren Zuwachs mit nominell +11,3% im Jänner und +11,1% im Februar. Rückläufig entwickelten sich im Jänner v.a. der Onlinehandel (-4,9% nominell) sowie der Einzelhandel mit pharmazeutischen Produkten (-4,1% nominell), wo sich die Aufhebung der gesundheitspolitischen Pandemie-Maßnahmen gegenteilig auf den Geschäftsgang ausgewirkt haben.

Toller Abschluss des Handelskolloquiums 2023

Höhepunkt des Handelskolloquiums 2023 war der Empfang des österreichischen Handels mit Bundeskanzler Karl Nehammer. Der Bundeskanzler strich in seiner Rede die gute Kooperation mit dem Handelsverband in den Krisen, die Relevanz des Beschäftigungsmotors Handel mit 625.000 Beschäftigen sowie die Bedeutung der kritischen Infrastruktur (Lebensmittel)Handel hervor – vor allem in Zeiten der Pandemie.

Einigkeit mit dem Handel herrschte auch darüber, den Faktor Arbeit zu entlasten und finanzielle Anreize für die Erhöhung der Wochenarbeitszeit zu setzen. Die ausstehende Abschaffung der Mietvertragsgebühr wurde ebenfalls aufs Tapet gebracht.

 

Das Podium rund um „Standortoptimierung"
Das Podium um Kapitalismus und Nachhaltigkeit
Christoph Badelt (2.v.re.) und Jürgen Bierbaumer (2. v. li.) mit Stephan Mayer-Heinisch und Rainer Will

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geschrieben am

21.04.2023