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Vergleich Handel Österreich und Schweiz

Lebensmittelhandel: Vergleich der Alpenländer

In den Diskussionen rund um die Teuerung wurde immer wieder der Vergleich mit der Schweiz gezogen. retailreport.at hat in der Schweiz nachgefragt, wie man hier die Konzentration sieht.

Dass Österreich nicht das einzige Land mit einer hohen Konzentration im Lebensmittelhandel ist, zeigt ein Vergleich mit der Schweiz. Dass es hier zu einer ähnlichen Situation kommt, wie in Österreich zeigen die nachfolgenden Experten-Aussagen. Die Schweizer Politik hält sich im Unterschied zu Österreich mit einem Handels-Bashing zurück und schürt so nicht die Hetzjagd der Bevölkerung auf diese Branche.

Unser westliches Nachbarland zählt nahezu die gleiche Einwohnerzahl (rund 9 Mio.), hat allerdings die Hälfte der Fläche zu bieten: 84.000 m2 zu 41.000 m2. Auf dieser tummelten sich bis vor einigen Jahren vorwiegend die Outlets von Coop und Migros – also Handelskonzentration vom Feinsten. Auch das hat sich geändert, wie uns Handelsexperte, Trendforscher und langjähriger CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts, Dr. David Bosshart, berichtet: Die Situation in der Schweiz hat sich im LEH bezüglich Größenverhältnissen / "Monopole" Migros und Coop über die letzten 15 Jahre durch Eintritt / Wachstum von Aldi und nochmehr Lidl zumindest entspannt, weil starke Alternativen verfügbar sind - in einem Land, in dem fast alle KonsumentInnen in Gehdistanz oder sehr kurzer Fahrdistanz Lebensmittel einkaufen können. Zudem machen auch größere Nischenanbieter mit überregionaler Bedeutung in der Schweiz wie Spar oder Volg einen sehr guten Job, Manor in der Westschweiz und im Tessin. Migros und Coop bleiben Platzhirsche, aber die Alternativen, insbesondere durch die deutschen Discounter, die sehr schweizerisch daherkommen und genau dieselben Themen klug integriert haben (Nachhaltigkeit, Bio, Frische, Regionalität, Mix Eigenmarken / Markenartikel, auch Vergrößerung der Sortimente etc.), sorgen für mehr Wettbewerb auch bei Mehrwertprodukten.
Spekulative Frage: wenn Coop ein Rewe-Unternehmen wäre, sähe die Beurteilung bei uns vielleicht anders aus. Die internationale Industrie der großen Markenartikler weiß sich zu wehren - siehe z.T. boshafte Margenoptimierungen über die letzten zwei Jahre bezüglich der Inflation. Bei regionalen Lieferanten mag es Fälle der Unzufriedenheit geben, weil Abhängigkeiten bestehen. Aber die beklagen sich ja auch nicht, solange sie sehr gute Margen verdienen. Kurz: jenseits der medialen Aufhitzungen gilt in einem so kleinen Land, in dem jeder jeden kennt, immer noch das Hauptmotto "Leben und Leben lassen". Lebensmittel bleiben eine stark nationale und regionale Angelegenheit, bei kleinen Ländern wie Schweiz und Österreich muss man auch anerkennen, dass die beiden jeweiligen Platzhirsche immer auch sehr innovativ waren, in der Schweiz mit Vorteilen für Migros, in Österreich mit Vorteilen für Spar“.

Dr. Gianluca Scheidegger, Senior Researcher beim Gottlieb Duttweiler Institut wird mit Fakten noch konkreter: Die Vermutung ist naheliegend, dass Coop und Migros mit einem gemeinsamen Marktanteil von rund 70% eine hohe Marktmacht besitzen und nach verschiedensten Einschätzungen auch die höchsten Bruttomargen Europas besitzen (1). Ein Grund für die hohen Bruttomargen könnte auch sein, dass vor allem die Migros einen sehr hohen Anteil an Eigenmarken im Sortiment führt (rund 80%) (2).

Vor allem im Zusammenhang mit Bio-Produkten wird die relative Marktmacht von Coop und Migros in den vergangenen Monaten stärker kritisiert. Der Schweizer Preisüberwacher beschäftigt sich momentan mit dem Thema und hat dazu bereits einen Vorabklärungbericht veröffentlicht (3). Darin kommt er unter anderem zum Schluss, "dass das wenig wettbewerbsintensive Umfeld in der Schweiz dazu beiträgt, dass Bio-Produkte stärker verteuert werden, weil sie eine extra hohe Marge zu tragen haben" (3).

Entscheidend ist in dieser Thematik auch eine neue Regelung im Schweizer Kartellgesetz (seit 2022), die verhindern soll, dass Unternehmen ihre "relative Marktmacht" ausnutzen (4). Bisher unterstanden nur marktbeherrschende Unternehmen der Missbrauchskontrolle durch die Wettbewerbskommission. Ziel der Gesetzesänderung ist der Wunsch nach fairen Preisen (die Initiative hieß «Stop der Hochpreisinsel – für faire Preise»).

Fazit: Die Schweizer sind sich der Problematik des Quasi-Duopols durchaus bewusst und haben entsprechende Kontrollinstrumente installiert. Durch die Discounter (Lidl Schweiz und Aldi Suisse) wird nun aber mehr Preisdruck auf Coop und Migros ausgeübt. Laut GfK nahm der Umsatz von Aldi Suisse zwischen 2010 und 2019 um 60% auf 2,3 Mrd. Fr. zu, während Lidl Schweiz um 184% auf 1,4 Mrd. Fr. zulegte. Im gleichen Zeitraum erzielte die Migros-Tochter Denner rund einen Fünftel mehr Umsatz. Derweil verzeichneten die Supermärkte von Migros und Coop leichte Einbußen." (5, Zitat NZZ). Gewisse Expertinnen und Experten sagen auch, dass die Marktmacht von Migros und Coop positiv für die Konsumenten sein kann. Da sie eine hohe Verhandlungsmacht besitzen und so die Preise von Zulieferern drücken können, die die hohe Zahlungsbereitschaft der Schweizer ausschöpfen wollen. In der Tat werden immer wieder gewisse Produkte (bspw. Nestlé, Mars, L'Oréal, Wander), im Zuge von Preisverhandlungen, temporär ausgelistet.

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geschrieben am

15.05.2023