Viel Zoff mit Jeff Bezos
Der Zusammenprall von Corona-Lockdown und Online-Welle löst eine winterliche Sturmflut in Österreichs Nonfood-Einzelhandel aus. Das "yip.at-Projekt" der Spar-Tochter SES, die Meta- (aber noch lange nicht Mega-) Plattform Kaufhaus Österreich der Firma Schramböck & Mahrer, ein Rudel an Digitalprojekten, die beim Handelskolloquium des Handelsverbands vorgestellt wurden: Alle diese Initiativen verfolgen das eine Ziel: In aller Eile einen rotweißroten Schutzdamm gegen das Amazon(as)-Hochwasser zu bauen, der verhindern soll, dass weite Bereiche der heimische Einzelhandels-Landschaft in dieser Flut untergehen.
Damit der Dammbau gegen die internationalen Online-Giganten von A (wie Amazon) bis Z (wie Zalando) auf lange Sicht gelingt - kurzfristig geht ohnehin wenig -, ist eine akkordierte Arbeitsteilung zwischen den Projektbetreibern unerlässlich, die wiederum eine gemeinsame Sprache, genauer gesagt, eine akkordierte Problemanalyse voraussetzt. Damit die Baumeister des Online-Wellenbrechers nicht dasselbe Schicksal erleiden, wie ihre Kollegen, die seinerzeit den Turmbau zu Babel vergeigten, weil sie in verschiedenen Sprachen an einander vorbeiredeten.
Übrigens: Wenn man sich bei der Problemanalyse auf eine fundierte empirische Marktforschung (Stichwort: GfK Haushaltspanel zur Messung der Onlineeinkäufe) verständigt, wäre schon viel gewonnen.
Zwei Grundregeln gelten für diese Arbeitsteilung. Erstens: Die lebensrettende, Erste Hilfe muss von Staat kommen, für die zweite, ebenso notwendige Langzeittherapie der maroden Nonfood-Händler aber ist die Unternehmerschaft primär selbst verantwortlich. Zweitens: Damit diese Herkules-Aufgabe gelingt, ist die Solidarität der großen, nationalen und mittelgroßen regionalen Händler mit den kleinen, lokalen Händlern notwendig. Gerade im Wettbewerb zwischen Global Pure Online und Austrian Store (inklusive Multi Channel) Retail ist diese Partnerschaft von großem Wert.
yip, yip, hurra!
In diesem Sinn ist das Programm yip.at (your information point), das die Spar-Shoppingcenter-Tochter SES zu Wochenbeginn vorstellte, als sehr kompakter und konstruktiver Beitrag zur Unterstützung mittlerer und kleiner heimischer Nonfood-Nahversorger im Umsatzwettlauf mit den Online-Kraken zu werten. Für Christoph Andexlinger, designierter SES Chief Operating Officer ist yip keine herkömmliche Suchmaschine, wie sie die Online-Händler und -Marktplätze bieten, sondern eine „lokale Entdeckungsplattform“, eine Navigationshilfe, die Konsumenten in ganz Österreich über einen simplen digitalen Kontakt zu lokalen Händlern, Gastronomen, Dienstleistern und sogar Kulturveranstaltern in ihrer Umgebung lotst. Links zu ausländischen Plattform-Betreibern wie Amazon oder Alibaba werden dezidiert ausgeschlossen.
Solcherart setzt yip, von der Digitalagentur Loop New Media konzipiert, ganz pragmatisch den Claim von kaufhaus-österreich.at um:„ Ich verkauf regional – das geht auch digital.“ Seit Beginn dieser Woche können sich lokale Betriebe mit ihren Standorten, Sortimenten und Dienstleistungen einfach und kostenlos bei yip.at registrieren. Seit 5.12. ist diese werbefreie (!) Plattform für die Konsumenten frei geschaltet.
Auf die Frage von retailreport.at, ob yip als erster Schritt in Richtung eines virtuellen SES-Einkaufszentrums, nach dem Vorbild von ECE Hamburg Alsterviertel (wir berichteten darüber), konzipiert sei, antwortete Andexlinger: Davon könne aktuell keine Rede sein. yip stehe auch allen Mitbewerbern des Spar Einzelhandels und der Spar Shopping Center offen, natürlich würden auch Interspar Häuser und andere Formate der Tannenorganisation sowie Mieter von SES Zentren bei der Plattform mitmachen: “Mir ist lieber, die Konsumenten kaufen bei unserer Konkurrenz im stationären Handel als bei den Online-Multis“, sagt Andexlinger.
Solcherart präsentiert sich die Plattform, in deren Aufbau die SES einen sechsstelligen Betrag investierte, als Solidaritäts-Geste der Salzburger an die Adresse des stationären heimischen Handels. Sie wendet sich speziell an Kleinbetriebe, die sich keine eigenen Web Shops leisten, aber dennoch in einem stark besuchten Regional-Schaufenster präsent sein wollen, und das zum Nulltarif. Für Jene, die sich fit für komplexere Formen des Online-Verkaufs machen wollen, werden gratis-Webinare veranstaltet.
yip ist ein Herzensanliegen von Marcus Wild dem scheidenden CEO von SES, der mit 1.1. 2021 in den Vorstand der Spar Holding aufsteigt. yip-Mastermind vom Start weg ist Christoph Andexlinger, ab Jahresbeginn 2021 als COO zweiter Mann im SES-Vorstand neben Johann Felser, der im Zuge des Revirements vom CFO (Chief Financial Officer) zum CEO der Shoppingcenter-Tochter des Spar Konzern aufsteigt.
Kaufhaus Österreich: Gut gemeint, aber (noch) nicht gut gemacht
Die schon im Sommer angekündigte Meta-Plattform Kaufhaus Österreich legte in der ersten Dezemberwoche einen spektakulären Waagrechtstart hin. Die System-Mängel wurden in den Tagesmedien ausschließlich aus Konsumenten-Sicht betrachtet und hämisch kommentiert. Man finde auf kaufhaus-oesterreich.at keine Produkte, die man online bestellen kann, so lautete die am häufigsten vorgebrachte Kritik.
Aber Kaufhaus Österreich verdient eine zweite Chance. KÖ soll und wird kein virtueller K&Ö (Kastner & Öhler) sein, aber könnte einen konstruktiven Beitrag dazu leisten, dass die völlig orientierungslose, unstrukturierte heimischen e-Commerce-Szene sich als neuer Vertriebstyp in die volkswirtschaftlich so bedeutende Sparte Handel einfügt. Kaufhaus Österreich könnte als Begegnungszone für alle Stakeholder einer auf Wertschöpfung ausgerichteten Digitalisierungsoffensive der heimischen Konsumgüterwirtschaft fungieren. Vorausgesetzt, dass sich neben WKÖ und Handelsverband (sowie dessen Plattformen) die großen Player des stationären Handels wie Spar, Rewe, XXX Lutz, gestandene Familienunternehmen (wie Kastner in Zwettl mit my.product.at) gemeinsam mit ihren Lieferpartnern aus Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe und fachlich begleitet von GS1/ECR (Stichwort: Datensicherheit) für diesen organisatorischen Kraftakt kommitten.
Was Kaufhaus Österreich braucht, um sich im Stimmengewirr der e-Kommunikation Gehör zu verschaffen, ist eine Brand-Awareness, eine unverwechselbare Marken-DNA. Vorschlag: Man könnte das virtuelle Kaufhaus Österreich als Weiterentwicklung des von Franz Fischler seinerzeit propagierten Feinkostladens Österreich positionieren. Als eine Plattform, die eine Suchlogik für ausschließlich in Österreich produzierte hochwertige Konsumgüter anbietet Im Kaufhaus Österreich fände demnach der Smartphone-Wischer ein Sortiment, das für österreichische Konsumkultur steht. Die Lebensmittel-Abteilung dieser virtuellen Shopping Galerie könnte das schon vor Jahren ventilierte Konzept eines Kulinarium Austriacum (als Pendant zu Eataly) umsetzen, bei den Haushaltswaren könnte Gmundner Keramik auftrumpfen, in der Bekleidungs-Etage authentische Ausseer Dirndlmode und die Kreationen der Wiener Jungdesigner, Fischer Ski in der Sportabteilung, die Thonet-Möbel, Team 7 und die Voglauer Bauernstuben des ehemaligen Skistars David Zwilling in den Wohn-Landschaften.
Handelskolloquium als Diagnosestrasse: Wie schlecht geht es unserem Onlinehandel?
Der Wettbewerb im Möbelhandel liefert uns den Link vom Kaufhaus Österreich zum 30. Handelskolloquium des Handelsverbandes, das am 1. Dezember über die digitale Bühne ging und natürlich von der Corona-Thematik und der Schubkraft, die diese Pandemie für den Onlinehandel entwickelt, geprägt war. „Bespielt Ikea neben der schwedischen auch die österreichische Wohnkultur?“ Diese, zugegeben, provokante Anfrage richtete retailreport.at an Maimuna Mosser, die beim Kolloquium das neue, faszinierende Mixed-Use-Konzept des Ikea neben dem Wiener Westbahnhof vorstellte. Die Antwort war vorhersehbar: Ikea stehe ausschließlich für schwedische Wohnkultur, österreichische Wohnstile zu bedienen, das überlasse man den Mitbewerbern rotweißroter Herkunft. Ikea beim Westbahnhof startet im kommenden Frühjahr, über diesen sensationell innovativen Kaufhaus Schweden-Retailtyp wird noch ausführlich zu reporten sein. Könnte übrigens auch eine brauchbare Vorlage für eine Export- und Tourismus-Offensive von Kaufhaus Österreich abgeben.
Die Ikea-Präsentation beim Handelsverband-Event zeigt aber zugleich schlaglichtartig auf, wie konfus hierzulande die Diskussion über den Onlinehandel als Rettungsanker Corona-geschädigter Nonfood-Händler läuft. Machen wir die Probe aufs Exempel: Der EHI-Report E-Commerce, Österreichs umsatzstärkste Shops im Jahr 2019, veröffentlicht am 17.11. 2020, weist im Ranking der Top 30 Onlineshops ein einziges Unternehmen des Wohn- und Einrichtungshandels auf: Ikea belegt dort mit einem E-Commerce Umsatz von 37,5 Mio Euro Rang 19. Von Marktführer XXX Lutz, den in das Signa-Imperium übersiedelten Kika/Leiner Märkten und Janet Kaths Interio (Franchise-Partner der Schweizer Migros) kommen keine Online-Erfolgssignale. Daran dürfte sich auch 2020 nicht viel ändern, auch wenn COVID-19 Verbraucherausgaben für schöneres Wohnen kräftig anheizt. Zwar hat XXX Lutz kürzlich bei der alljährlichen IT-Konferenz von EHI dargelegt, wie intensiv man die Digitalisierung des Unternehmens vorantreibt, aber da ging es nicht um den Online-Handel sondern um die verbesserte Kommunikation innerhalb des Managements, beispielsweise durch Videokonferenzen. Kika/Leiner Geschäftsführer Reinhold Gütebier, der von einem regionalen deutschen Traditionsmöbelhaus kommend, ins Benko-Imperium berufen wurde, erklärte diesen Herbst in Zeitungsinterviews, man setze stark auf das Online-Geschäft, Umsatzzahlen dazu aber wollte er nicht nennen.
Das HV Handelskolloquium, offenbarte mit seinen Vorträgen und Diskussionsrunden, wie atemberaubend die Dominanz von Amazon im heimischen Online-Business schon 2019 war und wie sehr das Corona-Jahr 2020 einen weiteren Konzentrationsschub in dieser dynamisch wachsenden Vertriebsform brachte. Die Tagung hat auch gezeigt, wie tief die Kluft zwischen Umsatz-Gewinnern und -Verlierern in diesem verrückten Handelsjahr 2020 geworden ist. Lebensmittelhändler im Umsatzhoch, stationäre Modehändler an der Kippe zum Ruin. Online-Primus Zalando will lokale Marktplatz-Partner ködern, Verticals wie H&M halten dagegen, Modediscounter wie Primark wittern ihre Chance, kaufkraftgeschwächte Kundschaft anzulocken. Was für eine brisante Gemengelage!