Handel: gemeinsam Mehrwert schöpfen
Bericht: Dr. Hanspeter Madlberger/erschienen im RETAIL-Magazin des Handelsverbandes
Ein Ruf eilt durch das Land: „Kauft mehr österreichische Lebensmittel!“ Die ökonomische Voraussetzung dafür: eine Lieferkette „from Austrian stable to Austrian table“. Damit diese ihr Potenzial voll ausschöpft und zur Bestform aufläuft, bedarf es einer einzigen Voraussetzung: dass alle Glieder der Kette an einem Strang ziehen. Aber genau daran hapert es. Nicht die gemeinsame Anstrengung zur Steigerung der nationalen LebensmittelWertschöpfung beherrscht die Agenda der Agrarierlobby, sondern der Vorwurf an den Lebensmitteleinzelhandel, er schmälere durch seine Einkaufs und Preispolitik die Einkommen unserer Bauern. Das Narrativ vom Wertschöpfungsklau durch den Lebensmittelhandel hat seinen festen Platz im Propagandasprech bäuerlicher Interessenvertreter.
Bei der Wortwahl war man bisher nicht zimperlich. „Bauern im Würgegriff des Handels“, tönte es kürzlich aus dem Landwirtschaftsministerium. Versöhnlichere Töne schlug zuletzt Bauernbund Geschäftsführer Georg Strasser beim ersten „Billa Tischgespräch“ an. Er signalisierte Dialogbereitschaft mit den Handelsketten, deren Chefs sich längst bereit erklärten, die Auflagen der europäischen UTP-Richtlinien voll an zuerkennen und der Errichtung einer Ombudsstelle zustimmen.
Abzocker oder Förderer?
Die Wurzel des Konflikts zwischen Landwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel (LEH) liegt in der unterschiedlichen Sicht auf die Zusammenhänge zwischen der Wertschöpfung auf den einzelnen Wirtschaftsstufen und ihre Auswirkung auf den vertikalen Wettbewerb. Von Agrarierseite wird argumentiert, der Anteil des Handels an der gesamten Lebensmittel Wertschöpfung im Lande sei in den letzten Jahren gestiegen, während jener der Bauern zurückgegangen sei. Laut WIFO-Studie sank der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfungskette von Agrargütern, Lebensmitteln und Getränken von rund 20 % im Jahr 2005 auf 17,5 % im Jahr 2019.
Aus diesem relativen Rückgang den Schluss zu ziehen, der LEH raube den Bauern Teile der ihnen zustehenden Wertschöpfung ist mehr als gewagt. Denn: Dieser Anteilsverlust ist ein relativer und darauf zurückzuführen, dass die Wertschöpung aus bäuerlicher Produktion in diesem Zeitraum nur um 10% stieg, während jene des LEH um 44 % zunahm. Dieser Anstieg ist in erster Linie der Rückwärtsintegration im Handel, also dem Ausbau der Eigenproduktion (zum Beispiel bei Fleisch und Wurst) und der Eigenmarkensortimente (speziell im Biobereich), geschuldet.
Aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet eine Studie des Economica Instituts für Wirtschaftsforschung die Wertschöpfung des Lebensmittelhandels. Ihre Kernaussage: Die vom LEH erzielte direkte Bruttowertschöpfung lag 2018 bei 4,1 Milliarden Euro. Hingegen erreichte die durch Lieferungen an den LEH generierte Bruttowertschöpfung der vorgelagerten Stufen (Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und gewerbe) einen Wert von 6,9 Milliarden Euro. Zusammen mit den Konsumausgaben der im LEH Beschäftigten in Höhe von 524 Millionen Euro bewirkt unser LEH somit eine Bruttowertschöpfung von 11,55 Milliarden Euro.
Wertschöpfung addieren
Was gilt also? Ist der Lebensmittelhandel der brutale Abzocker oder der wohlwollende Förderer bäuerlicher Wertschöpfung? Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man nüchtern die Aussagekraft der Wertschöpfung betrachtet: Sie gibt als betriebswirtschaftliche Kennzahl an, wie sehr es einem Unternehmen, einem Wirtschaftszweig oder der ganzen Volkswirtschaft gelingt, zugekaufte Güter und Leistungen in Güter mit höherem monetären Wert zu transformieren. Wertschöpfung (Englisch: Added Value) ist die Differenz zwischen Ausgaben für den Einkauf von Rohstoffen, Waren und Dienstleistungen und den am Absatzmarkt erzielten Verkaufserlösen.
In der nachfragedominierten Marktwirtschaft entscheidet letzen Endes der Konsument über Preise und Absatzmengen. Und damit über die Gesamtwertschöpfung einzelner Lebensmittel. Somit ist es die Aufgabe eines jeden Unternehmens, auf seiner Stufe in der Lieferkette ein Höchstmaß an Wertschöpfung herbeizuführen, indem es seinen Kunden ein bestmögliches Preis-Leistungs-Verhältnis anbietet.
Green Foods Austria
Die größten Chancen der Verbesserung ihres Einkommens haben unsere Bauern, wenn sie sich mit den Verarbeitern und dem Handel auf eine gemeinsame Marketingstrategie verständigen, die eine durchgängige Wertschöpfungssteigerung entlang der Lebensmittellieferkette zum Ziel hat. Das ideale Kommunikationsinstrument dafür sind herkunfts- und nachhaltigkeitskonnotierte Premiummarken. Im Sektor der Handels-Eigenmarken ist dieser Wertschöpfungsdynamo bereits in reichem Ausmaß vorhanden. Bei den Herstellermarken besteht noch viel Luft nach oben. Zu Recht wird an die Konsumenten appelliert, österreichische Lebensmittel zu kaufen. Am Zug ist jetzt die heimische Lebensmittel und Getränke Markenartikelindustrie – einschließlich der MultiTöchter. Ihr Solidarbeitrag für die Landwirtschaft und unser BIP wäre, darauf zu schauen, dass in ihren Fertigprodukten möglichst viel rotweißrote und klimafreundliche Rohstoffherkunft steckt. Und dieses Commitment auch glaubwürdig nachzuweisen.