Handel 1. HJ: Atmosphärisch schwierige Situation
Die Bilanz des ersten Halbjahres 2022 im heimischen Handel ist durchwachsen, wie Spartenobmann Dr. Rainer Trefelik und Mag. Peter Voithofer vom Economia Institut für Wirtschaftsforschung berichten. Wenn man die negative Spirale weiter nach unten bewegt, wo würde man landen, denn die Fülle an schlechten Ereignissen reißt nicht ab. „Der Konsument hat sich an so viel gewöhnt in den letzten Jahren, das gegen uns stationäre Händler spricht – Stichwort online einkaufen – dass es schwer wird, wieder in alte Muster zurückzukehren“, so Trefelik. Ein Rundruf unter den größten Händlern Österreichs bestätigt die Annahme: sie sind nicht optimistisch, was Energiekosten, Mitarbeitersuche, Geschäftsmieten und auch KV-Kosten angeht. „Mit durchschnittlich 3% Spanne geht sich das nicht aus“, referiert Trefelik die durchschnittliche Rendite in Österreichs Handel.
Die nackten Zahlen
Der gesamte Handel erzielte im ersten Halbjahr (Jänner bis Mai, Juni-Daten liegen für den Großhandel noch nicht vor) ein nominelles Umsatzplus von +14,4 %. Berücksichtigt man die steigenden Preise, dann bleibt ein reales Wachstum von +1,5 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Insbesondere im Großhandel mussten die Preise – aufgrund enorm steigender Vorleistungskosten – stark angehoben werden. "Für den österreichischen Handel sieht das erste Halbjahr umsatzmäßig nur auf ersten Blick zufriedenstellend aus. Bei näherem Hinsehen bleibt angesichts der hohen Preissteigerungen vom Wachstum kaum etwas übrig. Und einzelne Branchen erleben die Fortsetzung einer nun schon sehr lang andauernden Durststrecke", sagt Rainer Trefelik.
Konjunktur schwächer als im EU-Schnitt
Für den Einzelhandel allein, wo bereits das gesamte 1. Halbjahr vorliegt, fällt das Wachstum noch wesentlich geringer aus: Hier stiegen die Umsätze nominell zwar um +7,6 %, preisbereinigt bedeutet dies aber lediglich ein Plus von +0,2 %. "Damit fällt die österreichische Einzelhandelskonjunktur auch im Vergleich zum EU-Durchschnitt deutlich schwächer aus, selbst im Vergleich zum Vorkrisenniveau hinkt sie fast allen EU-27-Ländern hinterher", führt Peter Voithofer vom Economica Institut aus.
Besser lief der Großhandel: Hier gab es ein preisbereinigtes Wachstum von +5,4 %. "Preiserhöhungen der nationalen und internationalen Hersteller, bei Energie sowie Liefer- und Logistikschwierigkeiten in den Vorstufen haben vor allem im Großhandel zu einer Preisrallye geführt. In den Einzelhandelspreisen findet das erst teilweise seinen Niederschlag", erklärt Voithofer. So ist der Großhandelspreisindex um +22,5 % gestiegen, die Einzelhandelspreise haben mit +7,4 % weniger stark zugelegt.
Unterschiedliche Entwicklung der einzelnen Branchen
Überdurchschnittliche Zuwächse erzielten im ersten Halbjahr die modischen Branchen, die aber die Rückgänge der Vorjahre bei weitem nicht ausgleichen konnten: Die Umsätze des Bekleidungseinzelhandels stiegen im Jahresvergleich nominell um +21,7 %, die des Schuheinzelhandels um +12,3 %. Grund für das Wachstum ist allerdings vor allem die äußerst niedrige Ausgangsbasis: "Die hohen Steigerungsraten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die modischen Branchen das Vorkrisenniveau nach wie vor deutlich unterschreiten", so Voithofer. Gegenüber dem 1. Halbjahr 2019 liegen die Umsätze im Bekleidungseinzelhandel noch -12,7 % darunter, im Schuheinzelhandel sogar noch um -21,2 %.
Steigerungen gegenüber dem Vorjahr gab es außerdem im Sportartikeleinzelhandel (nominell +6,6 %) und bei Drogerien und Apotheken (+6,4 %). Stark eingebrochen ist hingegen die Kfz-Wirtschaft. Hier lag das Umsatzminus nominell bei -4,8 %, was unter Berücksichtigung der steigenden Preise ein reales Minus von -12,0 % bedeutet. Am unteren Ende des Konjunkturranking befinden sich aber auch der Elektroeinzelhandel mit einem Umsatzrückgang um nominell -17,5 % (gegenüber 2021) und der Möbeleinzelhandel (-18,9 %).
Beschäftigungsrekord und steigende Zahl an offenen Stellen im Handel
Positiv entwickelt hat sich die Beschäftigungssituation im heimischen Handel. Im März 2022 konnte erstmals die Zahl von 570.000 unselbständig Erwerbstätigen in der Branche überschritten werden. Konkret legte die Beschäftigtenzahl im Großhandel um +3 % und im Einzelhandel um +2,6 % gegenüber dem Vorjahr zu. Gleichzeitig waren mit 14.285 weniger Arbeitslose aus der Branche gemeldet und es gibt so viele offene Stellen wie noch nie: Insgesamt blieben 21.049 Stellen im Handel im ersten Halbjahr unbesetzt.
Ausblick mit vielen Fragezeichen
"Dieser Arbeitskräftemangel wird den heimischen Handel noch länger beschäftigen, ebenso die außergewöhnlichen Steigerungen der Preise auf Lieferantenseite und vor allem die Energiepreissteigerungen", sagt Spartenobmann Trefelik. Der Ausblick auf das zweite Halbjahr sei daher mit vielen Fragen behaftet. Etwa bleibt abzuwarten, ob sich die sinkende Sparquote (7,3 % nach 11,8 % im Vorjahr) auf den Einzelhandel positiv auswirkt.