GS1 – eine Idee weit über Österreichs Grenzen hinaus
Geschäftsführer GS1 Austria, Mag. Gregor Herzog, ist seit Anfang 2021 Chairman von GS1 in Europe. Dabei handelt es sich um einen losen Zusammenhalt von 49 Ländern: EU27, hinzu kommen der osteuropäische Raum, der Balkan, Kaukasus, Georgien und Israel – all jene Länder, die in ihrer Wirtschaft zum europäischen Markt orientiert sind.
Die Hintergründe für eine so weitreichende Vereinigung auf der Supply Chain-Ebene sind vielfältig, wie Chairman Gregor Herzog beschreibt: Jene Region der Erde, die politisch und wirtschaftlich sehr stark fragmentiert ist, braucht genau für solche komplexen Themen eine Dachorganisation. Supply Chain ist nicht das einzige Thema, das den ewigen „Konflikt“ zwischen Europa und USA zum Vorschein bringt. Auch im Payment-Bereich werden viele Dinge in Bewegung gesetzt, um die Wertschöpfung in Europa zu halten. GS1 in Europe ist hier bereits einen großen Schritt weiter.
Denn: es braucht ein echtes Gegenüber zur Weltmacht USA. Die europäische Gesetzgebung muss auch bei Themen der Supply Chain greifen. „Am besten abgebildet ist die Umsetzung bei Medizinprodukten, wo ja GS1 einen großen Teil der Organisation der Rückverfolgbarkeit, Supply Chain und der EAN-Codes über hat. Gesetzliche Themen, die medizinische Produkte aller Art betreffen, werden nicht mehr national entschieden“, erklärt Gregor Herzog.
Schutz der Konsumenten
Ein weiterer wichtiger Grund für eine Dachorganisation wie GS1 in Europe ist die EU-Gesetzgebung etwa im Bereich des Verbraucherschutzes. „Das wirklich beste Beispiel dafür ist die ‚Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV)‘, die 2013/14 in Kraft getreten ist“, so Herzog. Wir alle erinnern uns an die teilweise für die Hersteller recht mühevolle Kennzeichnung von Allergenen, heute ist man erleichtert die Verordnung auf europäischer und auch Nicht-EU-Ebene einheitlich geregelt zu haben. Für einen Exporteur macht es die Sache deutlich leichter, wenn alle Länder die gleichen Vorgaben haben. „Die Standardisierung der Inhaltsstoffe ist die Konsequenz aus der Verordnung“, erklärt Mag. Herzog. Heute, knapp zehn Jahre danach, vermag man gar nicht den Wert dieser einheitlichen Verordnung zu beschreiben, wenn es um den Online-Handel geht. „Beim Online-Handel von Produkten und Lebensmitteln muss der Konsument europaweit exakt die gleichen Labelinformationen bekommen“, so Herzog.
Einen wesentlichen Dienst leistet hier das Datenservice GS1 Sync, über das Produktstammdaten weltweit ausgetauscht werden.
Drei Arten von Daten
So sperrig und unsexy das Wort „Daten“ oftmals klingt, so wichtig ist es für den internationalen Handel. Wenn man verstanden hat, dass eine Synchronisierung der Daten den Warenhandel, den Ex- und Import, sowie die bilateralen Geschäfte enorm erleichtert und auch Kosten spart, wird der oftmals ungeliebte Datensatz zum geliebten Werkzeug eines Produzenten. Hier wird zwischen drei grundsätzlich verschiedenen Arten von Daten unterschieden:
- Stammdaten, die zwischen dem Händler und dem Lieferanten ausgetauscht werden, sind produktbeschreibend. Sie sind b2b2c, wenn es um den Online-Handel und auch den stationären Handel geht (Abbildungen im Flugblatt) geht. Sie enthalten Fotos, GTINs, Allergene, Lagerungshinweise.
- Bewegungs- und Transaktionsdaten bis hin zur elektronischen Rechnung werden über elektronischen Datenaustausch (EDI) übermittelt: von wem und wohin wird die Ware bestellt, geliefert, verrechnet? „Jede Sekunde des Jahres gehen über EDITEL, unsere Tochterfirma, rund 13 Nachrichten hinaus, das macht 400 Mio. Nachrichten im Jahr.“
- Nicht zuletzt und immer wichtiger werdend sind die Eventdaten für eine transparente Lieferkette. Oft handelt es sich dabei um end-to-end-Daten: von der Urproduktion bis hin zum Konsumenten. Bei den einzelnen Stationen, beispielsweise Schlachtung oder Zerlegung, spricht man von Events. Diese können wir mit unserem Rückverfolgbarkeitsservice GS1 Trace abbilden. Im Zentrum ist der Datenpool, Schlüssel zu den Daten ist die Artikelnummer(GTIN) des Produktes. Warum wird das immer wichtiger? „Einerseits schätzt der Konsument mehr Wissen über die Herkunft und Verarbeitung von Lebensmitteln, andererseits fordert der Gesetzgeber eine solche wie etwa bei Seefisch. Dazu ist zu sagen, dass das bei Monoprodukten – wie Fleisch – einfacher zu erfüllen sein wird, als bei Fertiggerichten und verarbeiteten Produkten“, blickt Herzog in die Zukunft. Metro und EDEKA sowie Lidl in Deutschland haben sich diesem Thema bereits angenommen und bieten Transparenz der Lieferkette für Fleischprodukte. Bei Fisch wird die Rückverfolgbarkeit heute von der Fischereipolitik der EU geregelt: welche Fangmethode, welches Schiff, welcher zoologische Name des Fisches sind hier anzugeben.
Es gibt ein Gesetz und wir finden eine Lösung
Die europäische Konglomeration der Daten ist auch deshalb so wichtig, weil Gesetze vermehrt in der EU „gemacht“ und dann in nationales Recht umgesetzt werden sollen. „Ich erinnere mich sehr gut an die Nachricht, dass die LMIV kommen wird“, so Herzog. „Das war 2010. Wir waren alle unsicher, wie wir das lösen werden, doch dann kommt der GS1-Gedanke durch und wir sagten uns auf europäischer Ebene: das ist ein klassisches Standardisierungsprojekt“. Schließlich setzten sich Händler und Hersteller zusammen und entwickelten auf Basis der LMIV, ein international kompatibles Datenprofil. Und darum geht es schließlich auch: um die Qualität der Daten.
Ähnlich beim Lieferkettengesetz
Auch beim bereits in Deutschland verabschiedeten Lieferkettengesetz müssen die Daten valide sein. „Es geht zwar vorranging um ethische Fragen – trotzdem wird dieses mehr Lieferkettentransparenz bringen“, so Herzog. Und wer könnte das besser als GS1 in Europe? GS1 ist eine „non for profit“-Organisation, missionsgetrieben und supply chain effizient – das sind die besten Voraussetzungen für die Umsetzung des LKG. „Wir dürfen nicht vergessen, dass kein internationaler Hersteller Produkte nur für einen Markt produzieren will. Die internationalen GS1 Standards sind Voraussetzung für effiziente Supply Chains auch über die Grenzen hinweg. Innerhalb Europas hat das Cassis-de-Dijon-Urteil klargestellt, dass der Binnenmarkt als Einheit zu sehen ist.“ erinnert Gregor Herzog . Der Entscheid besagt, dass grundsätzlich alle Produkte, die in einem EU-Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, auch in allen anderen Mitgliedstaaten verkauft werden dürfen. Das half etwa auch Red Bull bei der Erschließung des italienischen Marktes. Denn: Europa ist ein einheitlicher Markt und braucht einheitliche Regeln, in Zukunft stärker denn je und auch weiter gefächert (in Nicht EU-Staaten) als bisher. „Besonders in der Nachhaltigkeit wird die Einheitlichkeit ein wichtiger Asset sein.
Green Deal als Prüfstein
Bis 2050 will Europa als erster Kontinent klimaneutral sein, das besagt der Green Deal in einem Satz. Dazu braucht es ein gemeinsames Bekenntnis und eine gleiche Umsetzung der Maßnahmen. Acht Politiken gibt es dazu: Energie, Industrie, Gebäude, Rückverfolgbarkeit, Umweltverschmutzung, Mobilität, Biodiversität, Finanzwelt. „Und in fast allen Bereichen können wir als GS1 viel dazu beitragen“, freut sich der Chairman: GS1 Identifikationsstandards für Produkte und wirtschaftliche Akteure wird es für die Kreislaufwirtschaft genauso brauchen wie Plattformen für das Teilen von Daten.
Dadurch kann man Produktzyklen verlängern, künstliche Obsolenzen verhindern und die Umwelt entlasten.
Ein grüner Passport
Kern des Green Deals ist der „Green Digital Product Passport“, der alles beinhaltet, was das Produkt beschreibt – immer im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Aktiv umgesetzt wird dieser Pass bei Batterien, Textilien und Elektronik, er ist jedoch in Zukunft auf alle Produkte anwendbar.
GS1 global ist mit 114 Ländern GS1 in Europe übergeordnet. GS1 Standards verstehen sich als die „Global Language of Business“. Ohne diese Daten würde heute im internationalen und nationalen Handel ein großes Chaos herrschen.