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Früchte verheißen Lebenssteigerung

Früchte verheißen Lebenssteigerung

Der Rheingold-Chef über psychologische Kaufmotive bei Frisch-Lebensmitteln, berichtet von Hanspeter Madlberger.

Stephan Grünewald, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des renommierten Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold, entschlüsselt mit Hilfe psychologischer Tiefeninterviews, welch belebende Kräfte moderne Verbraucher frischen Lebensmitteln zusprechen. Und liefert so Frischwarenproduzenten und Lebensmittelhändlern wertvolle Inputs für das Marketing und die werbliche Kommunikation ihrer Hersteller- und Mehrwert-Handelsmarken.

Das Frische-Konzept, Convenience und Functional Food arbeiten alle mit demselben Versprechen, dass sie unseren Körper- und Seelenhaushalt stabilisieren. Früchte haben aus psychologischer Sicht immer zwei Grundwirkungen. Zum einen verheißen sie buchstäblich Befruchtung, also immer irgendeine Lebenssteigerung. Wir werden selber fruchtbarer, energetischer, fröhlicher. Andererseits  haben Früchte auch eine befriedigende, tröstende und beruhigende Funktion.

Diese Sätze sind wortgetreu einem Interview entnommen, das Grünewald den beiden Autoren Eva Gritzmann und Denis Scheck vor einigen Jahren gewährte und das im Buch Solons Vermächtnis (Berlin Verlag 2015) veröffentlicht wurde. Gerade in diesen Monaten, da die heftige Teuerung bei frischen Lebensmitteln insbesondere bei den Premium-Handelsmarken, die selbst LOHAS Shopper in einen Zwiespalt stürzt, ob sie sich die, für ihre Gesundheit und die Klima-gestresste Umwelt so wertvollen Lebensmittel überhaupt noch leisten können, gewinnen Grünewalds Analysen der emotional unterlegten Kaufmotive besondere Aktualität. Man betrachte nur die sehr unterschiedlichen Meldungen über die Umsatzentwicklung bei Bio-Frischwaren im Laufe dieses Jahres.

Angebissener Apple: Gottgleichheit oder Sündenfall?

Rheingold steht in der Tradition der Tiefenpsychologie eines Sigmund Freud und der Arbeiten eines Ernest Dichter, dem Vater der amerikanischen Konsummotiv-Forschung. Dabei gelingt es Grünewald, diese tiefenpsychologischen Befunde einer durch die Digitalisierung „umgekrempelten Verbraucherseele auf die einzelnen Frischwarengruppe herunter zu brechen. So attestiert er dem Apfel, er habe „immer etwas Disziplinierendes, etwas, das die Bisskraft erhöht, das die Spannkraft erzeugt. Und - siehe Wilhelm Tell - für Zielgenauigkeit steht. Die Birne hat dagegen eher mütterliche Attribute.“

„Apple greift bewusst den Apfel in seinem Markenlogo auf. Vom Markenmythos her verspricht Apple uns Gottgleichheit. Der Apple-Apfel verspricht uns den Genuss vom Baum der Erkenntnis - mit dem Wischfinder, wie Gott die Welt erschaffen hat. Doch hat die Bibel noch mit einem ganz anderen Interpretationsmuster aufzuwarten. Der angebissene Apfel als Chiffre für den Sündenfall. Jetzt beißt sogar eine Spar, die das digitale, Data Based Marketing wie der Teufel das Weihwasser scheut, mit Einführung der Spar App in den offenbar doch nicht so sauren Social Media Apple.

Unterschied zwischen pflückreifen und essreifen Äpfeln

Der Konflikt zwischen Frische und Reife zieht sich wie ein roter Faden durch das Frischwaren-Marketing in unseren Supermärkten. Der frisch gepflückte Apfel verheißt „ewige Jugend“ der, nach der Ernte natürlich gereifte hingegen höchsten Geschmack. Heimische Apfelproduzenten blockieren häufig  den natürlichen Reifungsprozess ihrer Ware, indem sie frisch geerntete Äpfel in  CA-(Controlled Atmosphere)- Lagern Monate hindurch aufbewahren. Um auf diese Weise die Importe frischer Äpfel von der Südhalbkugel so gut es geht, einzubremsen und die ganzjährige Versorgung des Marktes mit inländischer Ware zu fördern.

Der Geschmack  des essfertigen Apfels wird jedoch nicht nur vom Reifegrad, sondern auch von der Sorte bestimmt. Dabei konstatierten die Apfelkundler seit Jahrzehnten einen, was die Geschmackskultur betrifft, eher unerfreulichen Langzeittrend. Das Supermarkt-Angebot an geschmacksintensiven, lokalen Sorten wurde dramatisch zurückgedrängt und durch einige wenige geschmacksarme internationale Züchtungen ersetzt. So erblickte der Golden Delicious bereits im Jahr 1913 in West Virginia (USA) das Licht der Welt. Die „ewigen Langweiler“ wie es anderer Stelle in besagtem Buch heißt, nämlich Golden Delicious, Jonagold, Fuji, Gala, Pink Lady und Granny Smith bestimmen auch in unseren Breiten das Apfelangebot in den Supermarkt-Regalen. Es würde sich für  unsere Apfelbauern und ihre Vertriebspartner im Handel wohl lohnen, gestützt auf die Erkenntnisse von Rheimgold,  den Kunden die wahren Geschichten von der  Qualität der frischen und der natürlich gereiften heimischen Apfelsorten zu erzählen.

Warum Frischkäse mehr Zuspruch findet als reifer Käse

Auch beim Käseverkauf spielt das Gegensatzpaar von Frische und Reife eine besondere Rolle. Grünewald: „Käse rückt die grundsätzliche psychologische Ambivalenz des Reifens in den Blick. Der Gewinn von persönlicher Markanz, von Eigensinn und Kultiviertheit geht einher mit dem Verlust der kindlichen Unschuld, Anpassungsfreude und Entwicklungsoffenheit. Dem Zeitgeist folgend, macht derzeit im Match zwischen Frische – und Reifeappeal der  „weiße und milchig-unschuldige  Streichkäse“ das Rennen. Das Wirkversprechen kommt schon im Markennamen zum Ausdruck: “Buko hört sich wie ein skandinavischer Lausbub an“. Und was sagt die Vorliebe für reifen Käse über unseren Charakter aus? „Der Verzehr von Stinkekäse ist der Ausdruck einer selbstbewussten und starken Persönlichkeit. Markennamen wie Henry IV sind da treffsichere Kaufentscheidungs-Helfer.

Die unterschiedlichen fleischlichen Gelüste

Recht differenziert präsentieren sich die psychologischen Motive für den Konsum einzelner Fleischsorten. Grünewald: “Wenn ich Rindfleisch esse, dann kriege ich diese stoische Widerstandskraft eines Rindes, das wiederkäuend bei Wind und Wetter den Stürmen trotzt. Und wenn ich Huhn esse, dann kriege ich diese flatterhafte Agilität eines Huhnes, das immer scharrt und durch den Stall hüpft. Und wenn ich Schweinefleisch esse, dann vermittelt sich mir dieses säuische, suhlende Moment.“ Da ist es vielleicht ganz gut, wenn beim Schnitzel die Panier derartige Morast-Assoziationen gar nicht erst aufkommen lässt.

Der frische und der reife Wein

Sidestep ins Getränkeregal. Beim Wein zeigt sich der Spannungsbogen zwischen Frische und Reife in besonders ausgeprägter Form. Es ist auch ein Wertschöpfungswettlauf zwischen Winzerfleiß auf der Stufe der Urproduktion der Trauben und Kellermeisterschaft auf der Stufe der Veredelung des Weines im Fass. Beaujolais Nouveau oder dreissig Jahre alter  Bordeaux, das ist eine der  vielen Alternativen. Bei der Markenpositionierung das richtige Wording zu finden, so dass reife Menschen sich über den Reifegrad des von ihnen konsumierten Weines definieren, bedarf durchaus psychologischen Feingefühls. Wir Österreicher denken da an Alter Knabe von Lenz Moser. Oder, doch etwas subtiler, an die Störche aus dem Burgenland, die, ganz im Sinne der Grünewald-Hypothese, das Fruchtbarkeitsstreben  jüngerer Generationen ansprechen.

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geschrieben am

25.08.2023