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Tierwohl im Kuh-Schwein- und Hühnerstall

Korrelieren Rechtssetzung und Tierwohl?

Das forum. ernährung heute (f.eh) ging im Rahmen eines Stakeholder-Dialoges in die Tiefe der Thematik.

Wenn wir von Ernährung in Österreich sprechen, dann kommt unwillkürlich das Thema Fleisch aufs Tapet. Denn „Fleisch“ an sich stand in den letzten Monaten im Zentrum vieler Diskussionen. Dazu beigetragen haben: die Steigerung der Veganer und Vegetarier, der Anstieg von Bio-Produkten in Österreich und die dazugehörige Haltung, die Diskussion um den CO2-Abdruck, der durch die Fleischproduktion entsteht, die vermisste Wertschöpfung bei Fleischprodukten und nicht zuletzt das Thema Tierwohl.

Auch wenn die Dialogrunde mit hochkarätigen Teilnehmern aus Wirtschaft und Bauernvertretern unter dem Solo-Titel „Tierwohl zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ lief, so wurden alle diese Themen aufgegriffen. Ein Vertreter von Handelsseite wurde sehnlichst in der Runde vermisst.

Wunsch und Wirklichkeit

Tierwohl steht ganz oben als Wunsch bei den Konsumenten, an der Kassa schaut es anders aus. Was muss passieren, damit Tierwohl in die Haltungsformen einfließt und als Basis gilt? Muss das Tierschutzgesetz verschärft werden?

Davor warnen Experten, denn wir haben in Österreich eines der umfassendsten und strengsten Tierschutzgesetze der EU. Wenn man dieses erhöht, besteht die Gefahr, dass der Bauer sagt: „Unter diesen Bedingungen produziere ich nicht mehr“. 

Ulrich Herzog vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz unterstrich, dass Österreich nicht die höchsten Standards hätte, sehr wohl aber das umfassendste Tierschutzgesetz mit enorm hohen Anforderungen: „Tierwohl sollte aber als Gesamtpaket geregelt werden, in dem nicht zu viele Einzelregelungen sind. Hier sollte man sich gezielt verschiedene Optionen ansehen, daraus Projekte entwickeln und diese rechtlich umsetzen. Das sollte aber mit viel Fingerspitzengefühl passieren.“

Andreas Hermann von der AMA-Marketing gab einen Einblick in Labels und Gütesiegel in Europa. Neben Beispielen aus Deutschland ging er auch auf das AMA-Gütesiegel ein. „Beim AMA-Gütesiegel gibt es generelle Anforderungen wie Licht und Platz sowie zusätzlich freiwillig Module wie regionale Herkunft oder besondere Fütterung. Das Ziel ist klar: die Erhöhung des Tierwohls durch mehr Platz und natürliche Verhaltensweisen“, so Hermann.

„Das Tierschutzkennzeichen betrifft Haltungs- und Stallungssysteme sowie Heimtierunterkünfte und -zubehör“, so Martina Dörflinger, Fachstelle für tiergerechte Tierhaltung und Tierschutz. „Es bestätigt Bauern die Einhaltung der Vorgaben des Tierschutzgesetzes und gibt ihnen Rechtssicherheit bei Kontrollen. Damit wissen sie, dass die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden, sich Tiere nicht verletzen können und deren Anpassungsfähigkeit nicht überfordert wird.“

„Die Landwirtschaft steht vor der Herausforderung, auf weniger werdenden Flächen mehr Lebensmittel mit weniger Emissionen zu produzieren – und das mit mehr Tierwohl als bisher“, betonte Josef Braunshofer von Berglandmilch. Dabei gehe es neben der Haltung auch um artgerechte Fütterung, Vermeiden von Futtermitteln aus Übersee und Herdengröße. „In Österreich hat jede Kuh einen Namen. Das heißt, wir sind viel stärker für das Einzeltier sensibilisiert. Und der Konsument weiß das zu schätzen“, unterstrich Braunshofer.

Erste Diskussion: Müssen Konsumenten emotional gewinnen

„In Österreich ist dem Konsumenten der Bezug zur Produktion von Lebensmitteln verloren gegangen“, meinte NR-Abgeordnete Carina Reiter von den Österreichischen Jungbauern, in der ersten Diskussion. „Landwirte argumentieren faktenbasiert und sachlich, obwohl Tierhaltung für sie hoch emotional ist, schließlich befassen wir uns ja mit unseren Tieren. Diese Emotion müssen wir vermitteln und die Menschen sensibilisieren.“ Martina Dörflinger von der Fachstelle für tiergerechte Tierhaltung und Tierschutz unterstützte dies und verwies auf die Bemühungen des Vereins „Tierschutz macht Schule“: „Damit bringen wir den Kindern sachlich und informativ Landwirtschaft, richtiges Essen und Tierwohl nahe.“ Das sei ein wichtiger Schritt zur Information der Konsumenten von morgen.

Johannes Mayr von der KeyQUEST Marktforschung erwiderte, „dass in der Diskussion auf die Emotionen der Konsumenten vergessen und versucht wird, alles rational zu erklären. Wenn der Konsument mehr bezahlen soll, muss ein Wunsch erzeugt werden. Informationen über Tierhaltungssysteme und ähnliches überfordern ihn.“ Als Beispiel nannte er Eier mit verständlichen Bildern über Käfig- und Freilandhaltung. „Wenn auf der Fleischpackung steht „Mehr Tierwohl“, kann damit niemand etwas anfangen“, so Mayr. Josef Braunshofer von Berglandmilch ergänzte, dass „man nicht vergessen darf, dass Kaufentscheidungen spontan sind und das Preisschild währenddessen präsent ist“. Österreich habe zudem kleine Strukturen, die zwar einen Fokus auf Einzeltiere ermöglichen und Tierwohl fördern, gleichzeitig aber auch Investitionen in ein höheres Produktionsniveau erschweren, da diese für viele Betriebe nicht leistbar sind, so Braunshofer.

Zweite Diskussion: Tierschutz ist stetig laufender Prozess

Andreas Hermann, AMA-Marketing, kritisierte in der zweiten Diskussion die idyllischen Werbebilder und die Verallgemeinerung der Landwirtschaft bei negativen Einzelfällen: „Beides stimmt nicht. Die Tierhaltung in Österreich basiert auf Tierwohl. Es gibt natürlich bei einzelnen Punkten Verbesserungsbedarf, aber wenn Betriebe bei der Tierhaltung umstellen sollen, muss das jemand bezahlen. Wir haben mit dem AMA-Gütesiegel eine gute Basis in Österreich, die wir weiterentwickeln sollten.“ Ulrich Herzog vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betonte, dass das Tierschutzgesetz ein Dauerthema ist und dass es sich hier um einen laufenden und steten Verbesserungsprozess handelt: „Die Politik muss auch auf die Rahmenbedingungen schauen und feststellen, was möglich ist. Sonst kann es passieren, dass wir mit der Produktion nicht mehr nachkommen können und heimische Produzenten verdrängt werden.“

Johann Schlederer von der Österreichischen Schweinebörse kritisierte, dass die heiße Kartoffel – nämlich die Frage, wer für mehr Tierwohl bezahlen soll – seit 30 Jahren herumgereicht werde. „Der Markt bezahlt das nicht, der Verbraucher bezahlt das nicht. Jeder greift lieber zur Aktion. Beim Lebensmitteleinzelhandel wissen sie das, weshalb sie nur kleine Sortimente hochwertiger Produkte führen. Die Conclusio lautet: NGOs und die Regierung fordern Tierwohl und die öffentliche Hand soll es bezahlen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.“ Martina Pluda von Vier Pfoten appellierte an die Anwesenden, „dass wir die Kartoffel nicht länger weitergeben – wir müssen alle zusammenarbeiten“. Sie stellte zudem klar, dass „streng bei einem Gesetz nicht immer optimal heißt. Denn Gesetze sind eine Kompromisslösung zwischen artgerecht und wirtschaftlich tragbar. Sie geben also nur Mindestanforderungen vor.“ Sie forderte daher ein radikales Umdenken statt stetem Weiterverbesserns der aktuellen Gesetze.

 Erste Diskussion (v.l.n.r.): Josef Braunshofer (Berglandmilch), Martina Dörflinger (Fachstelle für tiergerechte Tierhaltung und Tierschutz), Moderator Oskar Wawschinek, NR-Abgeordnete Carina Reiter (Österreichische Jungbauern) und Johannes Mayr (KeyQUEST Marktforschung).
Zweite Diskussion (v.l.n.r.): Ulrich Herzog (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), Andreas Hermann (AMA-Marketing), Moderator Oskar Wawschinek, Martina Pluda (Vier Pfoten) und Johann Schlederer (Österreichische Schweinebörse).

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24.02.2020