EU erteilt Persilschein für Einkaufsallianzen
Ein Bericht von Hanspeter Madlberger
Während in Österreich die BWB in einem Berg von Buchhaltungsbelegen nach Beweisen für inflationstreibenden Marktmacht-Missbrauch der Handelsriesen fahndet, sind die Wettbewerbshüter in Brüssel schon einen Schritt weiter. Die EU Kommission gab am 17. Juli ihren Beschluss bekannt, ihre seit Jahren laufenden Voruntersuchungen gegen internationale Einkaufsallianzen einzustellen. Im Papier der Brüsseler Wettbewerbshüter werden explizit die Allianzen AgeKore; seinerzeit mit Edeka verbandelt und Coopernic, mit einem Naheverhältnis zur Kölner Rewe, genannt. Man kann davon ausgehen, dass der Persilschein, den die Brüsseler Behörde den beiden genannten Allianzen ausstellt, auch auf die aktuellen Einkaufs-Zusammenschlüsse Epic Partners (Mitglied: Edeka) und Eurelec (betrieben von Rewe Group und Leclerc) zutrifft.
Die Reaktion von Markus Mosa, dem Vorstandsvorsitzenden der Edeka Zentrale Stiftung & Co. KG auf den Beschluss fiel entsprechend euphorisch aus. In der Medienaussendung der Händlergenossenschaft heißt es: „Die Entscheidung der Europäischen Kommission ist ein starkes Signal und Bestätigung für das Agieren von internationalen Einkaufsallianzen. Gerade in Zeiten der hohen Inflation ist es wichtig, dass wir zusammen mit internationalen Partnern im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU einen Gegenpol zu den marktmächtigen, internationalen Markenartikelkonzernen bilden können.“
Der internationale Markenverband war es, der vor der Wettbewerbsbehörde kartellrechtliche Bedenken gegen die Praktiken der Händler-Allianzen eingebracht hatte. Diese Bedenken konnten jedoch lauft Kommission nicht validiert werden. Im Gegenteil, die Gründe, die zur Einstellung der Erhebungen führten, lesen sich streckenweise wie ein Werbeprospekt einer Einkaufs-Kooperationszentrale: Da heißt es, die Händler würden mit ihren Lieferanten umsatzabhängige Rabatte im Austausch mit bestimmten Dienstleistungen, wie Promotions vereinbaren. Dadurch würden national ausgehandelte Konditionen einzelner Allianzmitglieder ergänzt bzw. bestätigt. Ziel dieser Deals seien niedrigere Preise, mehr Auswahl und bessere Qualität für die Kunden. Was will man mehr in Zeiten hochkochender Inflation?
Markenmultis mit höherem Euro-Marktanteil
Hintergrund des Brüsseler Freispruchs sind die oft sehr unterschiedlichen Marktmacht-Verhältnisse in der europäischen FMCG-Supply Chain. Die Zusammenschlüsse von überwiegend mittelständischen Händlergruppen zu internationalen Einkaufsallianzen stellen einerseits eine Reaktion auf den straffen Europa-Einkauf großer Filialkonzerne wie die Schwarz Gruppe (mit Lidl und Kaufland) dar, zugleich aber wollen sie damit dem Wettbewerbsdruck starker globaler Markenartikelkonzerne wie Procter oder Unilever, Nestlé oder Danone Paroli bieten. Heruntergebrochen auf die jeweiligen Kategorien, ist oft der Marktanteil eines Marken-Multis im europäischen LEH höher als jener der nachfragestärksten Einzelhändler des Kontinents. Von Händlerseite wird gegen manche Markenartikler der Vorwurf des Geo-Blocking erhoben (unterschiedliche Abgabepreise für denselbe Artikel in einzelnen Ländern), auch solche Vorwürfe sind bei den Brüsseler Behörden anhängig.
Wie Hersteller und Händler der vertikalen Konkurrenz ausweichen
Dazu kommt das Phänomen der Markt-Erosionen. Hersteller haben reichlich Möglichkeit, durch die Teilnahme an E-Commerce Plattformen die Konsumenten unter Umgehung des stationären Einzelhandels zu beliefern. Je mehr Absatzalternativen sich für Lebensmittel-, Genussmittel- und Getränke-Produzenten auftun, desto geringer ist deren Abhängigkeit von einem hochkonzentrierten LEH.
Andererseits haben Händler die Möglichkeit, auf dem Wege der Rückwärtsintegration eigene Produktionsstätten für ihre Eigenmarken zu errichten, eine Strategie, die zurzeit von der Schwarz-Gruppe intensiv verfolgt wird. So rangiert beispielsweise unter Deutschlands führenden Getränke-Abfüllern laut LZ die Firma MEG (Mitteldeutsche Erfrischungsgetränke), der AFG- Handelsmarken-Produzent für Lidl und Kaufland, an zweiter Stelle, hinter Coca-Cola. Coke wiederum verzeichnet im ersten Halbjahr 2023 massive Marktanteils-Gewinne, was nach Ansicht von Branchenkennern vor allem auf die Einlistungen bei Aldi zurückzuführen ist.
Vertikaler Verdrängungswettbewerb und vertikale Supply-Chain-Kooperation liegen also eng beisammen, auf nationaler wie auf internationaler Ebene, im Spannungsfeld zwischen Hersteller- und Handelsmarken, zwischen Discountern und Vollsortimentern.