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Digital-Oscars für Merkur & Billa

Digital-Oscars für Merkur & Billa

Die österreichische Rewe-Tochter wurde vom Europäischen Handelsinstitut (EHI) mit dem Reta-Award für zwei innovative Internet on Things (IoT)-Lösungen ausgezeichnet.

von Dr. Hanspeter Madlberger

Ein Preis ging an Merkur für das Smart Shelf-Projekt, das gemeinsam mit Waagenspezialist Bizerba entwickelt wurde. Ebenfalls ausgezeichnet wurde der smarte San Lucar-Kühlschrank, den Billa & Merkur zusammen mit IT-Partner Barcotec realisierten.

Das Imperium schlägt zurück. Während im Nonfood-Online-Business die Internet-Giganten Amazon, Zalando und Otto, begünstigt durch kräftigen Corona-Rückwind, ihre Umsätze hochpushen, nutzt der Pandemie-verschonte, stationäre Lebensmitteleinzelhandel die digitalen Tools auf ganz andere, nicht minder effiziente Weise. Auskunft über die Bandbreite der innovativen Digitalprojekte im Offline-Handel gibt die Liste der vom EHI kürzlich mit dem Reta-Award ausgezeichneten Retail Technology -Innovationen.

Besonders erfreulich aus österreichischer Sicht: Die vom EHI eingesetzte Fachjury bedachte gleich zwei Einreichungen der heimischen Rewe-Tochter mit dem Reta-Award, diesem Digital-Oscar für Europas Einzelhändler. In beiden Fällen geht es um den automatischen Warennachschub, ausgelöst durch Sensoren. In drei Merkur-Märkten (Baden, Wien-Westbahnhof und Leoben) installierte Bizerba denkende Regale, die über den Warenbestand von Teiglingen wachen, die in den Instore-Backofen wandern. Sobald der Sensor den durch die Entnahme herbeigeführten Gewichtsverlust registriert, wird über das Backoffice der Filiale der Nachschub beim Lieferanten geordert. Bizerbas Smart Shelf-Lösungen mit integrierter Wägetechnologie sind im Supermarkt vielfältig einsetzbar. Nicht nur für Replenishment-Arbeiten in der Backstation, sondern auch für solche in der Wurst-, Käse- und Feinkost-Bedienungstheke, bei SB-Frisch-Convenience und in den TS-Regalen.  

Ein ähnliches, gewichtsgesteuertes IoT-System kommt bei Verkaufs-Kühlschränken in 50 Merkur und Billa Filialen zum Einsatz. Dieses Kühlmöbel, vergleichbar mit den im Handel häufiger anzutreffenden Tiefkühl-Schränken, ist exklusiv für SB-verpackte Fertig-Obstsalate des Fruchtimporteurs San Lucar reserviert. Alle diese Kühlschränke verfügen bereits über die Smart Shelfes, die von Barcotec, einem auf innovative Software-Lösungen spezialisierten, österreichischen  IT-Unternehmen entwickelt wurden. Sobald ein Kunde eines dieser Convenience-Produkte  dem von Barcotec programmierten Kühlschrank entnimmt, gibt dieser automatisch den Warennachschub bei der San Lucar-Zentrale in Ebreichsdorf in Auftrag. Von dort aus werden die einzelnen Standorte direkt beliefert.

Vor Smart Home kommt Smart Store

Der denkende Kühlschrank, ist Fixstarter in allen Smart Home-Visionen, die uns seit Jahren der Internet-Handel als Zukunftsvision für die Frischwaren-Direktbelieferung der Haushalte präsentiert. Als Baustein im Smart Store von Billa und Merkur (künftig Billa Plus) ist das "cool denkende" Regal bereits reale Gegenwart. Jetzt läuft die Testphase, In welchem Tempo ein breiter Rollout vonstatten gehen wird, dazu will man sich in Wiener Neudorf noch nicht festlegen. Die Chancen stehen jedenfalls günstig, dass sich diese Investition in wenigen Jahren amortisiert.

Denn die Potentiale an Kosteneinsparung und  Leistungssteigerung zum Nutzen der  Kunden sind enorm. Smart Shelfes

  • entlasten das Filialpersonal bei der  Inventur- und Bestelltätigkeit,
  • senken die Lagerbestände
  • steigern damit den Frischgrad
  • verhindern out of stock und steigern zugleich die Verkaufsbereitschaft, was wiederum in höhere Umsätze und höhere Kundenzufriedenheit einzahlt.
  • reduzieren die Verderbquote und erweisen sich solcherart als taugliches Werkzeug im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung.
  • sie unterstützen aber auch die Verkaufsförderung über Dynamic Pricing, ein Marketinginstrument, das freilich nicht unumstritten ist und speziell Konsumentenschützer die Stirn runzeln lässt.

 

EHI-Studie: Technologie-Trends im Handel 20/21

In der IT-Branche werden Smart Shelfes den selbstlernenden Digitalgeräten (Learning Machines) zugerechnet, die wiederum als Vorstufe zu Artificial Intelligence (A.I.) gelten. Im deutschsprachigen Raum spricht man von K.I. (Künstliche Intelligenz).  Und dieser Bereich der Digitaltechnologie wurde in der jüngsten EHI-Umfrage Technologie-Trends im Handel 20/21 unter den führenden EH-Filialisten der D-A-CH Region  als mit Abstand wichtigstes IT-Vorhaben genannt. Von den 97 befragten Unternehmen, die für einen stationären Umsatz von 545,9 Mrd. Umsatz stehen, stuften 63% K.I. als wichtigsten aktuellen Trend  der Retail Technology ein. So wie Billa/Merkur arbeiten 34% der Befragten mit K.I. -Lösungen. Replenishment (automatischer Warennachschub), Forecasting (Umsatzprognosen) und Pricing sind die wichtigsten ökonomischen Vorteile, die  K.I. dem Handel bietet.

Autonome Stores: Amazon Go, Tegut Teo und  Schwarz Shop Box

Zu den K.I. Anwendungen im Lebensmittelhandel zählen neben den Smart Shelfes  auch die Smart Energy-Systeme, die eine erhebliche Senkung des Energieverbrauchs von Kühl- und Tiefkühlgeräten sowie bei der Klimatisierung und Beleuchtung der Verkaufsräume  bewirken.

Quasi die Maximalvariante von KI im Handel sind die Autonomen Stores. Prototyp ist Amazon Go, der vollautomatisierte, kassenlose Supermarkt, in Amerika bereits an Dutzenden Standorten realisiert. Kürzlich starte Amazon Go in Europa mit einem Laden in Großbritannien. Die Migros-Tochter Tegut mit Hauptsitz in Fulda präsentiert mit ihrem 50m2 kleinen Containershop Teo eine hochinteressante Mini-Variante eines autonomen Nahversorgerladens. Auch das innovative Teo-Modell wurde mit einem Reto-Award bedacht. Die Kunden loggen sich selbst per App ein, scannen und bezahlen auch ihre Einkäufe via Smart Phone.

Näher am Original ist die Shop Box der Schwarz-Gruppe ein autonomer Minimarkt, der vor wenigen Tagen als Pilot am Bildungscampus Heilbronn in Betrieb genommen wurde. Studierende und Mitarbeiter des Campus können mit dem Handy einchecken. Die Shop Box arbeitet, wie Amazon Go, mit Decken-Kameras und Bewegungssensoren, die die gekauften Artikel erfassen. Der gesamte Einkauf wird über eine spezielle Software dem einzelnen Kunden zugeordnet. Daran schließt sich die kassenlose, bargeldlose Bezahlung über ein Lastschrift-Verfahren. Den automatischen Warennachschub lösen die smarten, mit Wägesensoren ausgestatteten Regale aus.

Gilt der Betriebstyp des Autonome Stores noch als Newcomer in der Einzelhandelsszene, so finden Self Checkouts und Selfscanning- Systeme bei den  EHI-Mitgliedern längst breite Anwendung. 30% der befragten Händler setzen diese Technologie schon ein. Auch selbstständige Kaufleute sind mit von der Partie. So wurde Edeka Kaufmann Karsten Oertwig ausgezeichnet, der in seinem Supermarkt in Henstedt-Ulzburg die neue Generation von Multi-Sensor-Scannern des Typs Scanmade 360o (Hersteller: Itab) in Betrieb nahm. Es handelt sich dabei um einen Tunnelscanner mit einer Leserate, wie sie bisher nicht  erreicht wurde.

Connected Retail und ESL boomen

Zu den spannendsten Veränderungen, ausgelöst durch die digitalen Revolution im Handel zählt der Vormarsch von Connected Retail, jenem Systems das die nahtlose Verknüpfung von Laden- und Onlinehandel zum Ziel hat. 44% der EHI-Interviewpartner haben ihre IT-Abteilungen beauftragt, sich in dieser Technologie, deren Einsatz durch Corona stark beschleunigt wurde, schlau zu machen und dafür Pilot-Projekte zu entwickeln. Click & Collect ist eine häufige Anwendung, auch in dieser Disziplin ist der Billa Konzern sehr aktiv. Ein Award für Click & Collect und eine gemeinsame Online/Offline-Software ging an die dänische Salling Group, Mutter des deutschen Discounters Netto Nord.  

Wenn bereits bei den Discountriesen Lidl und Aldi seit Monaten der Countdown zur breiten Einführung von ESL-Regalschildern läuft, ist für die Supermarktketten höchste Alarmstufe gegeben. ESL ist die digitale Enabling Technology für ein zentral gesteuertes Dynamic Pricing, ein neues Zeitalter des Preis- und Aktionswettbewerbs bricht damit an. Und gewinnt an zusätzlicher Dynamik, weil Online-Händler wie Amazon dieses Instrument perfekt beherrschen und weil in der Corona Wirtschaftskrise, die erst am Anfang steht, bei den Kunden preisbewußtes Einkaufen hohe Priorität genießt. ESL boomt regelrecht, es kam sogar zu Lieferengpässen seitens der Erzeuger.

Weit vorne in dieser Disziplin ist der belgische Filialist Colryt, der in 290 Filialen bereits 75 Millionen elektronische Preisschilder installiert hat und nebenbei 90 Tonnen Papier einspart.  Dass die Digitalisierung im Handel auch durchaus respektable ökologische Effekte  hat, belegt das von Microsoft  über EHI publizierte Whitepaper: Sustainable Smart Stores 2021. Kleines Beispiel: Cloud-Vernetzung reduziert die Stromkosten die Rechenzentren in den Handelszentralen beträchtlich. Übrigens, die vergleichende Messung der CO2 Footprints des stationären und des Internet-Handels ist ein Thema, dessen sich klimabewußte Händler annehmen sollten. Digitalisierung und Klimaschutz seien die beiden größten Herausforderungen, denen sich die Wirtschaft in den kommenden Jahren zu stellen habe. Das sagte kürzlich Casper Rorsted, der umtriebige CEO von Adidas, der schon zuvor den Henkel-Konzern  umgekrempelt hat.

Bitte beachten:  Bei retailreport.at kostenlos abrufbar sind die EHI Studie Technologie-Trends im Handel 20/21 und das Microsoft Whitepaper Sustainable Smart Stores 2021.