Die Odyssee der Mirabell Mozartkugel
In diesen Tagen entscheidet sich das künftige Schicksal der Echten Salzburger Mirabell Mozartkugel, ihrer Produktionsstätte in Salzburg-Grödig und deren 140 Arbeitsplätze. Damit die Heidi Chocolat AG, ein Unternehmen der Meinl Gruppe, die insolvente Firma Salzburg Schokolade, Lohnproduzent der heimischen Süßwarenikone, zu 100% übernehmen kann, bedarf es eines Arrangements zwischen Heidi und dem Mirabell-Markeninhaber und Exklusiv-Distributeur Mondelez, Tochter des US-Konzerns Atria/Kraft Foods.
So vielfältig wie das Oeuvre des Salzburger Musikgenies Wolferl M. sind die Versuche in- und ausländischer Produzenten, aus der Pralinen-Gattung "Mozartkugel" (mit konzentrischen Schichten aus Nougat und Pistazien-Marzipan, umhüllt von Schokolade) einen unverwechselbaren Markenartikel zu schaffen. Die Mozartkugel ist ein Markenphänomen, das in der internationalen Süßwarenszene seinesgleichen sucht. Sie hat den Charakter einer Hybridbrand, schillernd zwischen Hersteller- und Herkunftsmarke. Und erlebte in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Metamorphosen.
In den Jahren des Wiederaufbaus sei die Mozartkugel zusammen mit den Lipizzanern und der Neutralität identitätsstiftend für uns Österreicher gewesen, sagte einmal ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Die Mirabell Mozartkugel sponserte den Wiener Opernball und die Fußball-Europameisterschaft 2008. Die Mozartkugel ist das Flaggschiff einer Armada von Mozart-Souvenir-Artikeln, angeführt vom Mozart Chocolate Liqueur, der, in Salzburg vom der Spirituosenfirma H.C.König erfunden, nach einem Zwischenstop beim japanischen Weinbrand-Riesen Suntory zuletzt bei Top Spirits von Schlumberger andockte.
Die Bandbreite der Mozartkugel-Produzenten reicht von Salzburger Manufakturen über namhafte Süßwaren-Markenartikler aus Österreich (Manner) und Deutschland (Reber) bis zu Global Players wie der Philip Morris Gruppe. Auch die österreichische Nestlé-Tochter gab ein, wenn auch nur kurzes Mozartkugel-Gastspiel. Sie erwarb seinerzeit von der Firma Victor Schmidt nicht nur den Markenklassiker Ildefonso, sondern auch deren Mozartkugel-Range und verkaufte sie an Manner weiter. Wo sie bis heute als Austria Mozartkugel und preiswerte Alternative zu Marktführer Mirabell reüssiert. Auch Nestlé-Rivale Unilever beteiligte sich an diesem Sweeties-Markenkarussel, nämlich durch die Weitergabe des von Bensdorp kreierten Bobby Schokoriegels an Salzburg Schokolade. Dass hierzulande die Salzburger Mozartkugel Konkurrenz durch die Reber Mozartkugel, hergestellt in der bayerischen Salzmetropole Bad Reichenhall bekam, dafür sorgte in den Achtzigerjahren die nachmalige Sacher-Chefin Elisabeth Gürtler. Sie leitete damals die Importfirma ihres Vaters Fritz Mauthner und belieferte Billa, Spar & Co mit Lindt Schokolade, Kambly Keksen und eben Reber Confiserie. Später übernahm Schlumberger-Importtochter Appelt den Vertrieb der Reber-Spezialitäten.
Väter der Salzburger Mozartkugel: Paul Fürst und Heinz Kappel
"There is only one Original", sagt der ergraute James Bond Darsteller Pierce Brosnan im TV-Werbespot für die Handelsmarke Spar Premium. Das einzige Original der Mozartkugel-Markenwelt ist die Original Salzburger Mozartkugel (auf den ersten Blick erkennbar an der silbrig-blauen Verpackung) aus der Manufaktur der Salzburger Konditoren-Dynastie Fürst. Ahnherr Paul Fürst erfand 1890 das Mozart Bonbon, das einige Jahre später den Namen Mozartkugel erhielt. In Salzburgs Festspielbezirk ist die Fürst Mozartkugel noch immer als Lokalspezialität und begehrtes Mitbringsel ein gefragtes Souvenir.
Die Echte Mirabell Salzburger Mozartkugel hat ihre historischen Wurzeln in den Zwanzigerjahren, als die Süßwarenfirma Rajsigl, 1897 von Bartholomäus Rajsigl gegründet, in Salzburg-Grödig mit der manuellen Produktion von Mozartkugeln begann. Neue Eigentümer von Rajsigl waren ab 1945 Dr.Ing. Heinz Kappel, seine Frau Ilse und Vittoria Kluge, die mit ihrer Firma Kappel & Kluge die zuvor stillgelegte Fabrik in Grödig übernahmen. 1948 wurde Rajsigl in Mirabell umbenannt. Das Produktionsprogramm umfasste nicht nur Mozartkugeln der Marke Mirabell sondern auch Waffeln, die weiterhin unter der Marke Rajsigl angeboten wurden. Manner Schnitten im Osten, Rajsigl Waffeln im Westen, so sah in den Fünfzigerjahren die Marktaufteilung aus. Als Konstrukteur von Maschinen zur Süßwarenproduktion genoss Heinz Kappel, der in Berlin zur Welt kam und in Prag sein Doktorat in Chemie erwarb, einen legendären Ruf, weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Seine Kreativität galt der Entwicklung neuer Schokolade-Hohlfiguren für das Saisongeschäft. "Ich war der Erste, der den Schokolade-Lachhasen auf den Markt brachte", erzählte er den Besuchern des Mirabell-Standes auf der ISM und auf den Saisonmessen der Handelsketten. Gemeinsam mit dem deutschen Backwarenerzeuger Paul Wolf entwickelte er die Goldfischli-Extruder-Snacks, die mittlerweile von der Kelly-Familie adoptiert wurden.
Aufstieg zum Markenartikel im Schlepptau von Suchard
Der Umstieg von der handwerklichen auf die industrielle Massenproduktion der Mirabell Mozartkugel gelang 1967 mit der Inbetriebnahme der neuen Fabrik in Grödig. Kappel hatte eine Maschine konstruiert (und zum Patent angemeldet), die den Steckerltunk-Prozess, Voraussetzung für die makellose Kugel-Form, automatisierte. Damit war der Weg frei für den Einstieg der Echten Mirabell Salzburger Mozartkugel ins Markenartikel-Business. Diesen vollzog die Schweizer Schokoladenfirma Suchard, die schon damals, dank der Milka-Tafel-Produktion in Bludenz als starke Nummer Eins den heimischen Schokoladenmarkt beherrschte. Langjähriger Chef von Suchard Milka in Bludenz war Dr. Martin Purtscher, der später in die Politik wechselte und von 1987 bis 1997 Landeshauptmann von Vorarlberg war. Eng mit Spar Legende Luis Drexel befreundet, versorgte er die Tannenorganisation viele Jahre hindurch mit der Defensivmarke Monte, einer quadratischen Schokolade, mit der Suchard versuchte, dem Rivalen Ritter Sport den Markteintritt in Österreich zu erschweren.
1970 fusionierten die Schweizer Schokoladenfirmen Suchard und Tobler zur Interfood AG. Diese erwarb bald danach eine Beteiligung an Mirabell und ab 1975/1976 gehörte Mirabell samt Fabrik und allen Markenrechten zu hundert Prozent der Interfood. Die Mirabell Mozartkugel wanderte damit aus dem Familienbesitz in das Portfeuille eines Süßwarenkonzerns von Weltgeltung, der sich durch häufige, stark wechselnden Eigentumsverhältnisse auszeichnete. 1982 fusionierte der deutsche Kaffeekönig Claus Jacobs mit Interfood. 1989 aber verkaufte er sein Kaffee- und Schokoladenimperium an den US-Konzern Kraft General Foods. Jacobs behielt sich lediglich die Kakao-Firma Barry Callebaut und baute diese zu einem führenden Rohstoff-Produzenten aus. Kraft General Foods hingegen erwarb in der Folge die britische Schokoladenfirma Cadbury. Von 2012 bis 2014 gliederte Kraft das europäische Süßwaren- und Kaffeegeschäft in ein eigenes, börsenotiertes Unternehmen aus und gab ihm den Namen Mondelez.
Ein Tiroler lacht sich die Salzburger Mozartkugel an
Zurück nach Salzburg. 1994 verkaufte Kraft die Mirabell-Fabrik, aber nicht die Marken- und Vertriebsrechte an den Tiroler Unternehmer Hans Pöll, der sich damals in der österreichischen Süßwarenbranche einen Namen machte. Der neue Eigentümer gaben dem Betrieb in Grödig den Firmennamen Salzburg Schokolade. Zum Pöll-Imperium zählten damals bereits das Nordpolwerk in Vomp, das als Produzent von Eispulver startete und darüber hinaus für die Süßwarenindustrie diverse Halbfabrikate (Couvertüren, Nougat etc. ) erzeugte. Weiters die alteingesessene Innsbrucker Keks- und Lebkuchenfirma Walde. Sowie die neu errichtete Candita Waffelfabrik in Wolkersdorf im Weinviertel. Dort wurden nicht nur Eiswaffeln, sondern auch Billig-Haselnuss-Schnitten erzeugt. Das rief den Marktführer Manner auf den Plan, der ja mit den Napoli Neapolitanerschnitten bereits über eine preiskampfstarke Zweitmarke verfügte. Manner kaufte von Pöll die Candita Fabrik. Eine Zeitlang war Pöll auch Besitzer eines Manner Aktienpakets, ehe man eine endgültige Trennung vollzog. 1996 übernahm Manner von Pöll die Marke Walde und konnte damit die Position als starker heimischer Lebkuchen-Anbieter (der nebenbei bemerkt, auch als Lohnproduzent von Milka Lebkuchen tätig war) gegenüber deutscher Konkurrenz (Lambertz) festigen.
Nächster Big Bang: 2014 verkaufte die Familie Pöll das Unternehmen Salzburg Schokolade an die Philipp Harmer Beteiligungs GmbH., der Unternehmensberater Christian Schügerl wurde Co-Gesellschafter und Geschäftsführer. Das Unternehmen belieferte in den darauf folgenden Jahren nicht nur Mondelez mit den Mirabell Mozartkugeln sondern betätigte sich auch als private Label Lieferant des Handels. Auch die Spar zählte einige Zeit zu den Abnehmern, aktuell findet sich aber Salzburg Schokolade nicht mehr auf der Liste der Produzenten von Spar Eigenmarken. Dort entdeckt man heute so bekannte Namen wie Frey Schokolade (Migros) und Zotter.
Ein Meinl-Mondelez-Mirabell-Joint Venture hätte viel Charme
Mit den Verhandlungen zwischen Heidi und Mondelez über die Weiterführung der Schokoladenfabrik in Grödig wird ein neues Kapitel in der schier endlosen Odyssee der Mirabell Mozartkugel aufgeschlagen. Die Aussichten, dass es zu einem Happy End kommt, stehen gar nicht so ungünstig. Heidi-Geschäftsführer Gerhard Schaller und Marketingleiter Roman Bugl blicken auf eine mehrjährige, erfolgreiche Karriere bei Kraft Foods zurück, sind insbesondere mit dem Mirabell-Geschäft bestens vertraut. Eine Vertriebskooperation unter Einbeziehung des neuen Heidi Flagship Stores in der Wiener Mariahilferstraße und der Schokotheken, die Heidi übernommen hat, bietet sich an. Ganz zu schweigen vom runderneuerten Meinl am Graben, einer Touristen-Attraktion im Herzen Wiens. Auch für einen globalen Player wie Mondelez ist eine Marke, wie die Mirabell Mozartkugel, die Salzburger und Wiener Musikkultur ausstrahlt, ein hochkarätiger Imageträger. Eine Premium-Praline, die es locker mit Konkurrenten wie der Lindor Kugel oder Ferrero Rocher aufnehmen kann.