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Willi Klinger, früher Chef der Weinmarketing, nun Chef von Wein& Co.

DAC-Mastermind Willi Klinger zieht kritische Bilanz

Der 670 Seiten-Wälzer "Wein in Österreich. Die Geschichte." ist für jeden Wein-Sortimentsmanager im Handel und für jeden Verkäufer der Kellerei-Szene ein wertvolles Nachschlagewerk.

von Hanspeter Madlberger

Und das aus zwei Gründen. Zum einen analysieren ausgewiesene Weinbau-Experten ausführlich die Hochkultur (im doppelten Sinn), die Österreichs Traubenproduktion auszeichnet. Das Zusammenspiel von Natur und bäuerlichem Fleiß, von Bodenbeschaffenheit, Klima, autotochtonen Rebsorten und einem seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegebenen Winzerhandwerk verschafft dem österreichischen Wein eine kleine aber feine Qualitätsnische im europäischen und weltweiten Wein-Business. 

Kehrseite der Medaille: So eindrucksvoll sich der Qualitäts-Siegeszug unseres Weines darstellt, der interessanterweise mit der Aufarbeitung des Glykol-Skandals im Jahr 1985 seinen Anfang nahm, so unrund entwickelte sich das „offizielle“ rotweißrote Weinmarketing seit 1986, dem Gründungsjahr der ÖWM. Das erste Jahrzehnt der Institution stand im Zeichen häufig wechselnder Geschäftsführer. Für Kontinuität ab 2007 sorgte Mag. Willi Klinger, Oberösterreicher, Sohn von Wirtsleuten und zuvor für Wein & Co tätig. Er darf für sich in Anspruch nehmen, dass er während seiner 13 jährigen Arbeit als konsequenter Verfechter des DAC-Konzepts der heimischen Weinwirtschaft eine Leitstrategie an die Hand gab, wie sie vorher nicht bestand. Seit 1999 genießt DAC quasi “Verfassungsrang“ in der nationalen Weinmarketing-Politik. Zum Jahreswechsel 19/20 übergab Klinger die Stafette der ÖWM-Leitung an den Briten Chris Yorke, der aus einem mehrstufigen Casting unter 90(!) Bewerbern als Sieger hervorging.  

Plädoyer für DAC

Ob und in welchem Ausmaß Yorke, der dem Wein aus Neuseeland zu beachtlichen Exporterfolgen verhalf, an Klingers DAC-Strategie festhält, wird die Zukunft zeigen. Dessen „Vermächtnis“, nachzulesen im Schlusskapitel Die Zukunft ist die Geschichte von morgen, spart jedenfalls nicht mit Kritik an den DAC-Gegnern. Klinger betrachtet DAC als „wettbewerbstrategisch lebenswichtiges Regelwerk der heimischen Weinwirtschaft“ und bezieht explizit den (Wein-) Handel in sein DAC-Dogma  mit ein: "Von zentraler Bedeutung für ein wirtschaftlich sinnvolles Miteinander von Landwirtschaft und Handel ist die konsequente Umsetzung des strategischen Herkunftsmarketings“. An Winzer und Kellereien ergeht die  Aufforderung: „Es ist wichtig, dass endlich auch die wenigen verbleibenden Gebiete ihre gebietstypischen Qualitätsweine im Rahmen des DAC-Systems definieren“. DAC-Verweigerer werden, ohne Namen zu nennen, frontal attackiert: “Es ist…hoch an der Zeit, dass sich auch die größten Flaschenweinvermarkter endlich der Gesamtstrategie anschließen und nicht permanent dagegen arbeiten. Wenn noch immer bedeutende Exponenten großer Kellereien, von denen manche auch in wichtigen Gremien sitzen, das gemeinsam beschlossene und vertretene strategische Herkunftssystem in ihren eigenen Betrieben konterkarieren, ist das wie Sand im Getriebe der sonst auch international so bewunderten österreichischen Weinmarketingstrategie“.

Angesprochen von dieser Kritik dürfen sich Unternehmen wie die Winzer Krems fühlen, die als Großlieferant von österreichischem Wein in der mittleren Preislage auch ohne DAC-Siegel bei den deutschen Lebensmittelhandelsketten reüssiert und mit einem Exportanteil von rund 50% dem heimischen Qualitätswein einen über die Jahre hinweg stabilen Absatz bescheren. Nicht von Klingers Kritik angesprochen, fühlt sich Lenz Moser, die größte heimische Privatkellerei im Eigentum der oberösterreichischen VOG AG. Mit Weinen aus Mailberg (Weingut des Malteser Ritterordens, das LM in Pacht betreibt) und der Region Kremstal nehmen die Rohrendorfer im Inlands- und im Exportgeschäft am DAC-Programm teil. Insgesamt aber macht bei Lenz Moser der Verkauf von DAC-Weinen weniger als zehn Prozent des Gesamtabsatzes aus. Das liegt daran, dass die großen Mengen über andere Marketingstrategien laufen. Lenz Moser Selection und Storch setzen auf die traditionelle  Geschmacksdifferenzierung über Rebsorten-reine Weine.  Bei Lifestyleweinen wie Servus kommt´s auf die Mischung an.       

Markenweine versus Autorenweine

Ob DAC die allein seligmachende Marketingstrategie für den österreichischen Wein darstellt, darüber sind also die Meinungen in der Branche durchaus geteilt. So ortet die Wein-PR-Dame Dorli Muhr auf Seite 408 der vorliegenden Weinbibel eine „dramatische Zweiteilung des Weinangebots“. Da findet man laut Muhr „auf der einen Seite unkomplizierte Weinmarken mit intensiver emotionaler Werbung, auf der anderen Seite Autorenweine mit eindeutigem Herkunftsbezug“. 

Ein Befund, der durchaus zu hinterfragen ist, denn in den Weinregalen des LEH, des mit Abstand wichtigsten Absatzpartners für den in-home-Konsum, findet man Markenweine mit  klarem Herkunftsbezug wie den Kremser Schmidt, andererseits aber auch jede Menge Autorenweine, ohne Herkunftsreferenz. Man denke nur an die Flat Lake-Range des famosen Selbstdarstellers Leo Hillinger. Wenn der TV-Liebling für die ORF-Seitenblicke am südafrikanischen Strand mit Blick auf seine Weingärten posiert, taugt er nicht unbedingt als glaubwürdiger Botschafter für  burgenländischen DAC-Wein. Während Frau Muhr den Markenweinen hohe Emotionalität zuschreibt, vertritt Dr. Klaus Postmann (einst Wein-Sortimentsmanager bei Merkur, jetzt Fachjournalist im Österreichischen Agrarverlag) einen konträren Standpunkt, indem er speziell den Winzer/Autorenweinen einen emotionalen Mehrwert zuerkennt. 

Wein & Co promotet Kultwinzer

Für Postmann war es vor allem Wein & Co-Gründer Heinz Kammerer, der durch den Verkaufsstil seiner Vinotheken wesentlich dazu beitrug, dass eine Reihe von Weinbauern den Status von Kultwinzern erlangten, die mit ihren prestigeträchtigen Kreszenzen bei einem kaufkräftigen, urbanen Publikum punkten. Jetzt kehrt Klinger zu seinem früheren Brötchengeber Wein & Co zurück. Allerdings wurde das Unternehmen per 1.10. 2018 an die deutsche Hawesko Holding mit Sitz in Hamburg verkauft. Mit einem Jahresumsatz von über 500 Millionen € gilt Hawesko als der größte Wein-Fachgroßhändler Deutschlands, seine Hauptklientel sind jedoch nicht die großen LEH-Ketten, sondern die Weinfachhändler und die Gastronomie. 

Übrigens spiegelt sich das Branchengerangel zwischen Marken- und Herkunftswein auch in den Regalen des Handels. Merkur übertitelt eine eigene Regalstrecke mit „Markenweine“. Sie offeriert Weine wie Lenz Moser Selektion und zahlreiche Eigenmarken der hauseigenen Kellerei Wegenstein. Die Spar platziert auf den besten Plätzen, nämlich in Augenhöhe eine große Anzahl von Winzerweinen. Das Private Label-Sortiment der eigenen Kellerei Schloss Fels wird hingegen in Bodennähe angeboten. Hofer, für einen Discounter sehr ambitioniert, was die Wein-Auswahl betrifft, vergibt Falstaff-Punkte für Weine aller Markengattungen. Und weil gerade vom Weinsortiment des LEH die Rede ist. Ansätze zu einem b2b-Marketing in Richtung Supermarktketten, etwa in Form gemeinsamer ECR- und Shopper Marketing-Projekte, fehlen bislang auf der Agenda der ÖWM und finden daher auch im Wein-Wälzer keine Erwähnung. Auch die sich anbietende Zusammenarbeit zwischen der ÖWM und den AMA Genussregionen findet, weil verbandspolitisch unerwünscht, bislang nicht statt.

Hauptanliegen des neuen Standardwerks über den heimischen Wein ist es, anhand des historischen Befundes über den Weinbau in unserem Land den Anspruch auf eine typisch österreichische Weinkultur abzuleiten. Die Ausdehnung des Kulturbegriffs auf Essen und Trinken fällt ja in einer hedonistischen Gesellschaft auf fruchtbaren Boden. Alarmsignal für die Wein-Agrarier: Die Bierkultur hat auf der PR-Bühne gegenüber der Weinkultur in den letzten Jahren enorm aufgeholt. Klingers Conclusio: „Aufgabe der Weinakademie wird es künftig sein, die Einzigartigkeit und Komplexität des Phänomens Wein zu kommunizieren und nicht seine Banalisierung  unter dem Titel „keep it simple“ zur Maxime des Weinmarketings zu machen“. 

Im Wein liegt Wahrheit, sagt ein altes Sprichwort. Wo die Wahrheit beim rotweißroten  Weinmarketing liegt, darüber wird wohl in der Ära Yorke noch viel gefachsimpelt werden. 

Wein aus Österreich

Buchbeschreibung, Brandstätter Verlag: Die lange Geschichte des österreichischen Weins birgt viele Facetten: Reb- sorten, Kultur- und Kellertechniken, der Weinbau im Lauf der Epochen und die Entstehung der österreichischen Weinbaugebiete seit den Grenzziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Welche Rolle spielen der Handel und die Besteue- rung des österreichischen Weins? Wie ist seine kultische Rolle in Religion und Brauchtum? Dieser Prachtband wirft zum ersten Mal einen fundierten Blick auf den historisch-kulturellen Stellenwert des Weins mit seiner bewegenden Geschichte, Genusskultur sowie seiner Darstellung in der Literatur. Dabei werden auch problematische Phasen wie die Zeit von 1938 – 1945 oder der Weinskandal von 1985 aufgearbeitet. Schließlich dokumentiert der Band auch die neue Rolle des österreichischen Weins im globalen Weinkosmos. Gemeinsam mit einem Team von über 40 Autoren lüften der Weinexperte Willi Klinger und der Historiker Karl Vocelka die berauschenden Geheimnisse dieses einmaligen Kulturguts.

Willi Klinger
Karl Vocelka (Hg.)

Wein in Österreich, Die Geschichte

ISBN 978-3-7106-0350-1
€ 60,00
704 Seiten mit 200 Abbildungen Hardcover

11. November 2019

Die Herausgeber

Willi Klinger Romanistik- und Schauspielstudium, danach Karriere im Weinhandel (A. V. Stangl, Wein & Co, Domäne Wachau, GAJA). Von 2007- 2019 Geschäftsführer der Österreich Wein Marketing GmbH.

Karl Vocelka Studium, Promotion und Habilitation für das Fach österreichische Geschichte an der Universität Wien. Langjähriger Vorstand des Instituts für Geschichte und vielfacher wissenschaftlicher Ausstellungsleiter.

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geschrieben am

17.01.2020