Corona-Krise trifft Gastro-Großhandel schwer
Bericht von Dr. Hanspeter Madlberger
Österreichs Handel im Corona-Krisenstatus: Massenandrang und Hamsterkäufe im Lebensmitteleinzelhandel, geschlossene Läden im Nonfood-Handel, starke Umsatzeinbußen im stationären und im Zustell-Gastro-Großhandel. Das bedeutet in der Praxis: Umsatzschub, aber auch Stress und Überstunden auf der einen Seite, Umsatzeinbruch, Jobabbau und Pleitengefahr auf der anderen.
Dabei fällt auf: Die extremen Herausforderungen, mit denen sich Österreichs Gastro-Großhandel konfrontiert sieht, fanden bislang in der Berichterstattung der Tagesmedien kaum Niederschlag. Daher hat sich retailreport.at in den letzten Tagen im Gastro-Großhandel umgehört: Wo liegen die größten Probleme, was sind die bei den Krisensitzungen erarbeiteten Maßnahmen zur Schadensbegrenzung?
Hier die wichtigsten Ergebnisse unserer Recherche:
C&C Märkte öffnen sich für Endverbraucher
Als erste Sofortmaßnahme haben in den letzen Tagen der Reihe nach AGM, Kastner, die Mitglieder der Eurogast-Gruppe, Transgourmet und Metro ihre C&C-Märkte für Endverbraucher geöffnet. Für einen begrenzten Zeitraum sind die Märkte also auch für Kunden zugänglich, die keinen Einkaufsausweis besitzen.
Bemerkenswert: In Deutschland gaben die Selgros-Märkte der Transgourmet-Gruppe laut LZ am 19.3. die Öffnung für Letztverbraucher bekannt, einen Tag später haben sie diese Maßnahme zurückgezogen. In Reaktion auf Mitbewerber-Proteste, die von einer "einseitigen dreisten Änderung des Nutzungszwecks" und drohender Beanstandung durch die Finanzämter sprachen. Einzelhändler protestierten, weil die Öffnung der C&C Märkte in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecke, die Lieferfähigkeit des LEH sei eingeschränkt. (Quelle: LZ vom 20.3.).
In Österreich hat das Wirtschaftsministerium am Mittwoch, den 18.3. den C&C Märkten offiziell die Genehmigung erteilt, Lebensmittel an Letztverbraucher zu verkaufen. Begründet wird dieser Schritt, mit dem Beitrag, den die Abholmärkte damit zur Lebensmittel-Grundversorgung der Bevölkerung leisten können. Wie lange diese Sonderreglung in Kraft bleibt, ist zurzeit offen.
C&C Märkte ergreifen Corona-Schutzmaßnahmen
In den Märkten wurden, ähnlich wie im LEH, Maßnahmen zur Verringerung des Infektionsrisikos ergriffen: Dazu zählen, laut Metro-Aussendung, Plexiglas-Wände an den Kassen, kontaktloses Bezahlen, Kundenleitsysteme, die die erforderlichen Abstände in den Kassen-Wartschlangen sicherstellen und die Organisation von Mitarbeiterinnenteams, die getrennt von einander ihrer Arbeit nachgehen. Eine weitere Maßnahme besteht in der Entfernung von Aktionsdisplays aus den Gängen zwecks Vermeidung von Kundenstaus durch Engstellen. Kastner bietet in seinen Märkten geeignetes Einweg-Geschirr für Restaurants an, die kurzfristig einen Menü-Heimlieferdienst auf die Beine stellen.
Kastner meldet 50% Umsatzeinbruch, Transgourmet bis zu 70%
Klar ist jedenfalls: Mit dieser Öffnung leisten die C&C-Märkte nicht nur einen Beitrag zur Lebensmittel-Grundversorgung, sondern auch zur Eindämmung eigener Umsatzeinbrüche im Gastro-Großhandel, infolge der der behördlich angeordneten Schließung aller Gaststätten. Diese trat bekanntlich am vergangenen Dienstag, den 17.3. in Kraft. Noch halten sich die meisten Gastro-Großhändler bedeckt, was die Ausmaße dieses Umsatzeinbruchs betrifft. Christof Kastner, Firmenchef der Gruppe Kastner, gab gegenüber retailreport.at für die Gastro-GH-Sparte (Abholmärkte und Zustell-GH) seines Unternehmens einen Umsatzrückgang in Höhe von 50% (bezogen auf die KW 12) bekannt. Transgourmet befürchtet Umsatzeinbrüche von bis zu 70% bis in den Sommer hinein.
Corona-Krise trifft Firmen sehr unterschiedlich
In der Branche hängt das Ausmaß der Einbußen im wesentlichen von zwei Faktoren ab: Zum einen vom Standort und damit dem Kernabsatzgebiet des Gastro-GH-Betriebes. In den westösterreichischen Regionen dürften die Einbrüche höher sein, als im Osten, weil in Tirol, Vorarlberg und Salzburg Urlaubsgäste massenweise abreisten und nicht nur die Restaurants sondern auch die meisten Hotels geschlossen wurden. Wann der Tourismus wieder auf Touren kommt, ist zurzeit nicht vorhersehbar.
Zweiter betriebswirtschaftlicher Indikator: Je höher der Umsatzanteil der Kunden im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung (Kantinen, Spitäler, Seniorenheime, Kasernen, Justizanstalten etc.) desto glimpflicher sind die Auswirkungen der Corona Krise auf das betreffende Foodservice-Unternehmen. Ähnliches gilt für C&C-Märkte, deren Kundenkreis in hohem Maße aus nicht-Gastronomie-Betrieben (z.B. Lebensmittel-Einzelhändler, Lebensmittel-Handwerk, Firmenkunden etc.) besteht.
Transgourmet prescht bei Kurzarbeit vor
Somit trifft die Krise die lupenreinen Gastro-Zusteller am massivsten. Bei ihnen ist in diesen Wochen mit Umsatzeinbußen im Ausmaß von 70% und mehr zu rechnen. Kurzarbeitszeit und Entlassungen, vor allem wenn die Krise länger als drei, vier Wochen andauert, sind in hohem Maße unvermeidbar. Am 20.3. gab Transgourmet in einer Medienaussendung bekannt, dass ab 23.3. nicht weniger als 1680 Mitarbeiter (von insgesamt 1800) für vorerst drei Monate in Kurzarbeit geschickt werden.
Seit Tagen wird in der Branche mit dem Wirtschaftsministerium und der Wirtschaftskammer und dem Handelsverband über entsprechende Finanzhilfen im Rahmen des von der Regierung geschnürten Rettungspakets verhandelt.
Auswirkungen auf den Zahlungsverkehr
Die Corona-Krise verändert nicht nur den Warenfluss, sondern auch den Zahlungsverkehr entlang der Lieferkette von der Landwirtschaft über die Lebensmittel- und Markenartikelindustrie, den Gastro-Großhandel bis zu dessen Kundschaft, den Gastronomie-Betrieben. Umsatzausfälle und Überschreitung von Zahlungszielen seitens der Gastronomie und ihren Einkaufsorganisationen (wie z.B. Hogast) und erst recht Insolvenzen im Gastgewerbe schwächen massiv die Liquidität des Gastro Großhandels. Das trifft vor allem mittelständische Familienunternehmen, die auf keine Finanzreserven eines Mutterkonzerns zurückgreifen können.
Eine Schlüsselfunktion kommt in dieser Situation der Österreich-Tochter der Markant AG zu, deren Hauptgeschäftsfeld die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und der entsprechenden Haftungen ( Delkredere) ihrer Mitglieder der Sparte Gastro-GH (Transgourmet, Top Team, Eurogast mit Kiennast und Wedl/Berger sowie Kastner ) umfasst. Zurzeit wird mit der Industrie um entsprechende Verlängerung der Zahlungsziele verhandelt, wobei die Rückversicherer einzubinden sind. Gespräche der Markant mit dem Wirtschaftsministerium betreffend Garantien seitens der öffentlichen Hand sind im Laufen.
Handelskette als Rettungsanker?
Lebensmittelgroßhändler, die, parallel zum Gastronomie-Geschäft, über eine eigene Logistik an Betriebe des Lebensmittel-Einzelhandels (Kaufleute und Eigenfilialen) liefern, sind in dieser Situation betriebswirtschaftlich besser aufgestellt, als lupenreine Gastro-Großhändler. So ist beispielsweise in der Kastner-Gruppe der Wochenumsatz der Nah&Frisch-Kaufleute zuletzt um 20% gestiegen. Bei Biogast, der Bio-Großhandelssparte des Zwettler Familienunternehmens stiegen die Umsätze zuletzt um 30%.
Mikromarketing mittels Bio- und Online-Handel
Dieses Plus ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass Bio-Haushalts-Zusteller wie die Firmen Adamah (im Großraum Wien) und Achleitner (in OÖ) die aktuell das Zustellgeschäft mit „Bio-Kistln“ an die Haushalte rasant steigern können.
Bei Biogast rechnet man mit Liefermengen dieser beiden Kunden im Umfang von 5000 bis 7000 Kisten pro Woche.
Umsatzverlagerung vom Gastro-GH auf den LEH, diese Option bietet sich auch der Sparte Adeg/AGM in der Rewe Gruppe und der Kooperation zwischen Unimarkt und Transgourmet, die auch in nach Pfeiffers Ausstieg aus dem Gastro-Business warenwirtschaftlich über Top Team kooperieren. Auch der Online-Handel, wie beispielsweise Kastners Partner myproduct.at leistet einen, wenn auch bescheidenen, Beitrag zur Kompensation verloren gegangener Gastro-Umsätze. Eine Erholung im Gastro-Zustellservice ist zu erwarten, wenn Lebensmittel- und Getränkeproduzenten die Direktbelieferung der Gastronomie aus Kostengründen herunterfahren. Dieser Trend ist schon seit Jahren zu beobachten und könnte sich infolge Corona sogar verstärken.
Erste Zwischenbilanz: Corona verändert die Branchenstruktur nachhaltig
Zusammenfassen kann man feststellen: Die Corona Krise trifft unseren Gastro-GH (C&C Märkte und Zustell-Service) massiv und zieht drei sehr unterschiedliche wirtschaftliche Folgen nach sich:
- Dramatische Umsatzeinbußen in den kommenden Tagen und Wochen, verursacht durch die komplette Schließung der Gastronomiebetriebe.
- Darüber hinaus, monatelange Umsatzeinbußen in Fremdenverkehrsregionen durch den zu erwartenden Rückgang der Anzahl an (ausländischen) Urlaubsgästen
- Landesweit ein mittel- und langfristig sinkender out-of-home-Konsum infolge des zu erwartenden Konjunktureinbruchs.
In den kommenden Wochen ist „Fahren auf Sicht“, sprich: maximale Flexibilität bei der Reaktion auf die Umsatzentwicklung und die sich verändernden logistischen Abläufe angesagt. Eine organisatorische Riesenherausforderung an die Unternehmer, ihre Führungskräfte und das gesamte Team, gilt es doch, an zahlreichen betrieblichen Rädern zu drehen.
Was die sich abzeichnenden, gesamtwirtschaftlichen Corona-Folgen für den Gastro-Großhandel betrifft, lohne sich ein Blick auf die Finanzkrise 2008/2009. Sie hat gezeigt, dass die Bevölkerung in der Wirtschaftskrise häufig auf Restaurantbesuche verzichtet und das Essen daheim bevorzugt. So sind von 2008 auf 2009 die Umsätze des LEH um über 2% gestiegen, während die Umsätze der Gastronomie um rund 5% zurückgingen. Generell kann man feststellen, dass die konjunkturellen Ausschläge nach oben und nach unten in der Gastronomie und damit im Gastro-Großhandel deutlich größer sind als im LEH, dessen Umsätze aus dem in-home- dem to Go- und dem Snack-Konsum resultieren. Es wäre keine Überraschung, würde die Corona-Krise einen Konzentrationsschub im heimischen Gastro-Großhandel nach sich ziehen.