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Standort+Markt legt aktuellen Health-Check des heimischen City Handels vor

City Handel im Krankenstand?

Standort+Markt legt aktuellen Health-Check des heimischen City Handels vor. Ein Bericht von Hanspeter Madlberger.

Die Chancen auf Therapie stehen gut, wenn sich Stadtverwaltung, Immobilien-Investoren und dynamische Einzelhändler auf ein zeitgemäßes Smart City Marketing verständigen.

In Deutschland  sorgt die fortschreitende Verödung zahlreicher Innenstädte, befeuert durch das Zerbröckeln der Galeria Warenhauskette für ein Rauschen im Blätterwald, führt immer häufiger zu Initiativen auf kommunal- und bundespolitischer Ebene. Hierzulande  geht der Niedergang des City-Handels schleichend und damit unspektakulär vor sich. Umso verdienstvoller ist der von  Standort + Markt vorgelegte City Retail Health Check 2023. Es ist bereits der neunte Jahresbericht der Standort-Consultants Hannes Lindner und Roman Schwarzenecker zu diesem komplexen Thema. Der Bericht ist bei Standort+Markt erhältlich (office@standort-markt.at).

Die S+M Datenbank erhebt vor Ort die  innerstädtischen Geschäftsflächen in  den 20 größten Städten des Landes. Wien ist in fünf Einkaufsquartiere (Mariahilferstraße, 1. Bezirk, Favoritenstraße, Landstraßer Hauptstraße und Meidlinger Hauptstraße) unterteilt. Neben den Landeshaupt- und größeren Bezirksstädten wurden 16 ausgewählte Kleinstädte untersucht. Der City-Handel in den 20 untersuchten Städten steuert rund 10% zur gesamten EH-Verkaufsfläche in Österreich bei, die Geschäftsstraßen mit insgesamt 13.240 Shops  haben eine Gesamtlänge von 103 Kilometern, deren  Einzugsgebiet zählt 3,5 Millionen Einwohner.

Die Key Findings des S+M City Retail Health Checks 

Die Einzelhandelsflächen in den Innenstädten gingen seit 2014 insgesamt um 2,6% zurück. Das erscheint auf den ersten Blick nicht alarmierend. Aber: Der Rückgang beschleunigte sich in den zurückliegenden Pandemiejahren. Und er ist von Stadt zu Stadt und von Branche zu Branche sehr unterschiedlich. So weisen St. Pölten (-26,8%), Steyr  (-19,2%) und Wiener Neustadt (-12,9%) die stärksten Einbußen auf, positiver Ausreißer ist Dornbirn mit +7,6%. Die Eröffnung der Shopping Mall Post am Rochus ließ die EH-Fläche der Landstraße Hauptstraße (Wien 3) um 6,3% wachsen.

Um  nicht weniger als 16% schrumpften seit 2014 die Verkaufsflächen im City-Modehandel (inklusive Schuhhandel). Dadurch sank der Anteil der Fashion-Läden am Branchenmix um 4,4 Prozentpunkte auf 28,5%. Die negativen Auswirkungen dieses Rückgangs auf die Besuchsfrequenz der Cities sind dramatisch. Denn der Schaufensterbummel, das Schlendern durch die Abteilungen für Damen-, Kinder- und Herrenmoden, mit dem Ziel sich ein Bild von neuesten saisonalen Modetrends zu verschaffen oder bei den Schlussverkäufen auf Schnäppchenjagd zu gehen, zählt zu den stärksten Anlässen für Family und Singles, eine Shopper Journey in Richtung City zu starten. Ein geschwächter City-Modehandel hat daher entsprechend katastrophale Auswirkungen auf die Frequenz der Einkaufsstraßen und -Quartiere. Übrigens, weder Luxus Labels noch Discountware sind primär gefragt, sondern Hochmodisches in der Mittelpreislage.
Ebenfall im Rückzug ist der  innerstädtische Möbelhandel. Die Schließung der Leiner-Häuser in Wien Mariahilfestraße und St. Pölten schlagen da zu Buche, Ikea neben dem Wiener Westbahnhof signalisiert einen zarten Gegentrend.

Wien: City wächst, Mariahilf schrumpft

Heißt das Wiener Lokalderby im Fußball: Rapid gegen Austria, so mausert sich im Duell der führenden Shopping Areas der Erste Bezirk zum Herausforderer der Mariahilferstraße. Diese musste zuletzt einen Rückgang von 5% hinnehmen und bringt aktuell noch 212.000 m2 Retailfläche auf die Waagschale, die City hat sich bereits auf 207.000 m2 herangerobbt.

Was den Branchenmix betrifft, ortet Lindner eine recht unterschiedliche DNA der einzelnen innerstädtischen Shopping Places. So hat der Lebensmittel-EH in der Wiener City bloß einen Flächenanteil von 8%, auf der Meidlinger Hauptstraße ist er dank des Interspar Marktes mit 29% präsent. In der Salzburger Altstadt erreicht die Gastronomie einen Flächenanteil von 30%, auf der Wiener Favoritenstraße wird nur auf 8% der Geschäftsflächen geschmaust.

Leerstandsquote und Fluktuationsrate sind wichtige Indikatoren   

Die Leerstandsquote liegt konstant bei rund 5%, die höchsten Werte weisen Wiener Neustadt (mit zuletzt 20,1%) und Steyr (13,8%) aus. Wie groß in dieser Disziplin die Unterschiede im NÖ Industrieviertel sind, beweist der Vergleich zwischen Wiener Neustadt und Mödling. Trotz der Nähe zur SCS weist Mödling eine Leerstandsquote von nur 1,8% auf, das ist der Rekordwert im Health Check, durchgeführt von den Standortforschern aus der Kurstadt Baden. Gerade die Unterschiede bei der Leerstandsquote - für Lindner ein Fiebertest im Check - zeigt sich, ob die kommunale Raumordnungsbehörde in der Vergangenheit ein glückliches oder ein unglückliches Händchen bewies. In Wiener Neustadt hat man allzu lange die Errichtung von Einkaufs- und Fachmarktzentren an der Peripherie gefördert, mit dem Ergebnis, das der innerstädtische Handel stark an Attraktivität einbüsste. Die Stadtväter von Mödling haben da ungleich besser performt.

Handel ist Wandel und die Fluktuationsrate legt davon Zeugnis ab. Sie lag zuletzt bei 11,7%. Lindner erläutert:„Im Schnitt wechselt ein Geschäft in Citylage alle 8,5 Jahre seinen Auftritt“. Und damit sehr häufig auch seinen Eigentümer. Wo hohe Kontinuität in Erstarrung und starke Dynamik in Chaos führt, das den Markenkern einer Handelsagglomeration zerstört, ist wohl eine Elferfrage. Übrigens führt S+M die zuletzt sinkende Fluktuationsrate auf die recht stattlichen, staatlichen Corona-Hilfen für Shopbetreiber zurück.

In der Krise sitzen Vermieter und Mieter in einem Boot

Die Fluktuationsrate ist auch ein Indikator für den Zustand der Partnerschaft zwischen Immobilien-Investor und Retailer. Dass der Händler zugleich Eigentümer der Immobilie ist, in der er sein Geschäft betreibt, ist bei Einzelbetrieben am Land die Regel. In den Shopping Malls, egal ob an der Peripherie oder in Zentrum von Städten sind der Immobilien-Investor als Vermieter und das Handelsunternehmen als Mieter Geschäftspartner, die einander auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Im Mietvertrag findet das Machtverhältnis zwischen den beiden seinen juristischen Niederschlag. Stürmisch wachsender Onlinehandel und Corona-Lockdowns als Zusatzturbo unterzogen dem Team Spirit von Vermieter und Mieter einer noch nie da gewesenen Belastungsprobe. European und Global Players aus beiden Lagern mögen sich da leichter auf  Kompromisse, sprich auf eine Senkung der  Mieten zur Abfederung der krisenbedingten Verluste verständigen. Die Spar-Tochter SES ist prädestiniert, heimischen mittelständischen Händler Support bei der Krisenbewältigung zu gewähren.

Der Versuch, hierzulande nach deutschem Vorbild  einen branchenweiten Code of Conduct für die Verträge zwischen Vermietern und Mietern zu zimmern, verlief im Sand. Umsatzabhängige Mieten, die einen Ansatz für eine faire Verlust- und Risikoaufteilung in diesen stürmischen Zeiten böten, sind nach den Erfahrungen der S+M Experten in der Praxis sehr selten anzutreffen. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass in Kreisen der Immobilien-Investoren die Illusion vom „Betongold“, von der Immobilie als bombensichere und ertragreiche Kapitalanlage gepflegt wird, Aus dieser Haltung heraus bevorzugt man langfristige und  darüber hinaus Verbraucherpreisindex-gesicherte Verträge mit den Mietern. Schließlich will man ja Pensionsfonds und andere auf sichere Kapitalanlage abzielende Finanzpartner nicht vergrämen. Dass es letzten Endes die Einzelhändler, Gastronomiebetriebe und andere Mieter sind, die mit ihrem Angebot dafür sorgen, das die Kunden, statt Amazon oder Zalando anzuklicken, die Malls aufsuchen und an den Kassen ihre Zahlkarte zücken, wird dabei oft übersehen. 

Frequenz-Standort Wien  Mitte brummt 

Ein gutes Beispiel für eine win/win-Partnerschaft zwischen Vermieter und Mieter liefert das Zentrum mit dem etwas holprigen Namen: The Mall, Wien Mitte, auf der Wiener Landstraße. Wie Centermanager Florian Richter jüngst bekannt gab, erzielten die 60 Shops des Zentrums auf einer Gesamtverkaufsfläche von 30.000 m2 in letzten Jahr einen Umsatz von 150 Millionen Euro, was eine respektable Quadratmeterleistung ergibt. Gegenüber 2021 ist das ein Plus von 20 Millionen oder 15,3%. Die Besucherfrequenz stieg um 31%. Erfolgsgeheimnis der Mall ist die enge Verkehrsanbindung an das Wiener U-Bahn-, S-Bahn- und Straßenbahnnetz.

Die Wahrheit ist den HV-Mitgliedern zumutbar

Fazit: Der Health Check, als Langzeit-Analyse über den Zeitraum 2014 bis 2022 schärft und vertieft die Diagnose der multiplen Ursachen chronischer Fehlentwicklungen in den Einkaufsstraßen vieler Groß- und Mittelstädte. Die Liste der  City Retail-Killerviren reicht vom Online-Boom über die Pandemie bis zum Strukturwandel bei typisch innerstädtischen Handels-Betriebstypen wie den Waren- und Kaufhäusern. Dem Handelsverband ist es hoch anzurechnen, dass er diesen kritischen Blick auf die Baustellen im City-Handel unterstützt, in die viele seiner in- und ausländischen Mitglieder von Signa/Leiner über SES, Gerngross, Otto/ECE  bis P&C und Zalando direkt oder indirekt involviert sind.

Vor dem Hintergrund der multiplen Krisen herrscht für das Management der City Malls dringender Handlungsbedarf. Enge Kooperation mit Blick auf ein akkordiertes Standort-Branding im Stakeholder-Netzwerk von Händlern, Gastronomiebetrieben, Immobilien-Investoren und City Marketing-Verantwortlichen der Kommunen ist gefragt. Gemeinsame Anstrengungen zur Senkung der Energiekosten und des CO2-Footprints sollten ebenso auf der Agenda stehen, wie Investitionen in  zeitgemäße Digitalsysteme und –Netzwerke. Smart City-Logistik (unter Einbindung der Öffis) und Smart Retailing in Form hybrider Shoptypen lassen grüssen. Die Generation der Smart Shopper wartet schon darauf.

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geschrieben am

17.03.2023