Digitalisierung im Handel
Der Kundennutzen ist das einzige, was im Handel zählt. Der Konsument hat sich massiv verändert, begleitet durch die Digitalisierung, die dem Kunden ganz neue Optionen eröffnet. Dennoch verhaftet der Handel noch in alten Denkmuster, nicht die Digitalisierung per se ist der Schlüssel zum Erfolg, sondern das Befriedigen der Kundenbedürfnisse und damit verbunden der Einsatz moderner Technologien, um den Kundennutzen zu steigern. Wie sich dies konkret auf den Handel, Händler, deren Geschäftsmodelle und deren Wertschöpfungskette auswirkt, beschreiben Prof. Dr. Marc Knoppe und Martin Wild in ihrem neuen Buch „Digitalisierung im Handel, Geschäftsmodelle, Trends und Best Practice“. Die beiden Handelsexperten haben jahrelange Handelserfahrung, die sie an Studenten und Praktiker weitergeben. retailreport.at gaben sie ein Interview.
- Wenn Sie von Digitalisierung im Handel sprechen, was meinen Sie damit konkret? Geht es nur um jene Digitalisierung, die zum Kunden hin geht, oder auch Digitalisierung im Hintergrund?
Martin Wild, Chief Innovation Officer, MediaMarkt Saturn: Für uns geht es nicht darum, dass alles im Handel digital wird, sondern dass sich der Handel für die digitale Welt bereit macht. Wenn MediaMarkt und Saturn in Österreich innerhalb von 3 bzw. längstens 48 Stunden defekte Smartphonedisplays austauschen, ist diese Dienstleistung sehr analog – ein Mensch aus Fleisch und Blut schraubt das Gerät auseinander und baut ein neues Teil ein. Aber sie ist trotzdem Folge der Digitalisierung – erst durch sie ist das Smartphone für viele Menschen unentbehrlich geworden.
Die Digitalisierung im Handel umfasst alle Bereiche – das Kundenerlebnis, die Prozesse im Unternehmen, neue Geschäftsmodelle und so weiter. Unser Buch liefert nur einen kleinen Blick in diese umfassende Veränderung.
Marc Knoppe, Professor for International Retail Management, Strategic Marketing & Innovation Management in Ingolstadt: Digitalisierung bedeutet generell, dass sich kleine wie große Händler und Marken darauf vorbereiten, eine Unternehmensstrategie in einer veränderten Handelswelt zu haben bzw. zu entwickeln, die es ihnen erlaubt, einerseits die digitalen Anforderungen und Wünsche der Kunden wie z.B. Sichtbarkeit der Warenverfügbarkeit, Click & Collect etc. zu beantworten, andererseits bestehende Prozesse wie z.B. Kassenprozesse zu optimieren, um letztendlich dem Kunden einen besseren Service zu liefern. Parallel besteht darin die Chance, effizienter und kostengünstiger zu werden.
- Wie weit sehen Sie den Handel im Hinblick der Digitalisierung? Im Online-Bereich gibt es ja einige Branchen, die noch stark hinterherhinken.
Martin Wild: Der Handel ist einer der ersten Branchen, die von der Digitalisierung erfasst wurde – und Consumer Electronics ist eine der ersten Zweige des Handels. Kein Wunder, schließlich verkaufen wir alles, was Kunden das digitale Leben ermöglicht. Ich sehe einige Händler, die die Digitalisierung sehr ernst nehmen und aktiv die Chancen nutzen, leider gibt es aber auch einige die immer noch glauben, die Digitalisierung betrifft sie nicht – dies ist meiner Ansicht nach ein großer Fehler.
Wir bei MediaMarktSaturn verfolgen eine Multichannel-Strategie, das heißt, wir verknüpfen die analoge mit der digitalen Welt wo immer sich die Möglichkeit bietet. In Österreich arbeiten wir an hochspannenden Projekten: Wir unterstützen zum Beispiel fit4internet, eine Initiative des Ministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, oder unterstützen mit Saturn Gregor Demblin mit seiner Initiative „tech2people“. Sie ermöglicht Menschen mit Lähmung und ähnlichen Behinderungen individuell angepasstes Steh- und Gehtraining mit einem Exoskelett unter therapeutischer Anleitung: Das bietet dadurch echten Mehrwert für die Gesundheit und das psychische Befinden der Betroffenen – und das ist nur mit Hilfe innovativer Technologien möglich.
Marc Knoppe: Es gibt immer noch viel zu viele Unternehmen, die zwischen E-Commerce und stationärem Handel unterscheiden. Der Kunde tut das nicht. Für ihn gibt es nur verschiedene Touchpoints, derer er sich 24-Stunden bedienen kann. Interessant ist, dass sehr kleine und sehr große Händler diesen Sprung relativ gut schaffen. Alle anderen Unternehmensgrößen haben strategische Probleme. Sie denken meist in unterschiedlichen Profitcenter und vergessen dabei, dass sich am Computer oder vor der Tür der gleiche Kunde befindet. Die theoretische Differenzierung der Generation Z oder Digital Natives gibt es im realen Leben nicht wirklich, denn alle Altersgruppen weisen ein ähnliches Verhalten, das sich am Lifestyle orientiert, auf. Ich erinnere mich an eine gemeinsame Studie mit Studenten der Fachhochschule Salzburg und Hervis Sports. Hervis Sports hat vor einigen Jahren auch diesen differenzierten Ansatz zwischen Fläche und Online verfolgt. Nach dieser Studie hat Hervis Sports seine Strategie verändert, sich weiterentwickelt und eine Reihe von Preisen für die digitale Transformation bekommen. Daran sollten sich andere Händler orientieren.
- Welche Trends sind für den Handel wichtig in der Umsetzbarkeit? Was darf man als Händler nicht versäumen?
Martin Wild: Aufgrund der zunehmenden Geschwindigkeit der Digitalisierung gibt es diverse Trends und Technologien die man nicht verpassen sollte. Um nur einige zu nennen: Voice, Mixed Reality, zunehmende Personalisierung. Das Mega-Thema der kommenden Jahre wird vermutlich die künstliche Intelligenz. Diese wird den Handel noch deutlich mehr verändern als die Digitalisierung. Aktuell tun viele dieses Thema noch als Blödsinn ab. Aber so ist das ja immer bei Innovationen: Erst wird darüber gelacht, dann wehrt man sich dagegen und danach werden sie ganz normal.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass hinter all diesen Technologien Menschen stehen, die die Digitalisierung des Unternehmens vorantreiben. Um die Umsetzbarkeit auch künftig zu gewährleisten, setzen wir daher stark auf die Nachwuchsförderung und nehmen hier auch gerne eine Vorreiterrolle ein. In Österreich waren wir z.B. das erste Unternehmen, das die Lehre zum E-Commerce-Kaufmann angeboten hat.
Marc Knoppe: Ich kann Martin Wild nur zustimmen, nicht die Technologie ist entscheidend, sondern die richtige Unternehmensstrategie in einer digitalen Welt. Neue Technologien werden sicher bestimmte Arbeitsplätze vernichten, parallel werden neue Jobs, insbesondere im Bereich Kundenanalyse und Betreuung entstehen. Einen weiteren Trend neben Themen wie Künstliche Intelligenz sehe ich in den steigenden Anforderungen, zusätzliche Kundenservices wie Click & Collect, Sichtbarkeit der Warenverfügbarkeit, Lieferzeitpunkt und so weiter zu entwickeln. Der Handel muss lernen mit Daten umzugehen, neue Services zu schaffen und nicht nur Produkte anzubieten.
- Würden Sie ihre unternehmensindividuelle Strategie bitte näher erläutern?
Martin Wild: In Sachen Innovation versuchen wir, relevante Technologien schnell zu testen, um schneller zu lernen als andere. Denn nur so sind wir schnell, wenn es ernst wird. Viele Unternehmen unterschätzen die Zeit zwischen Erkenntnis und Umsetzung.
Marc Knoppe: Unternehmensindividuelle Strategie bedeutet, dass jedes Unternehmen, jeder Händler seine Zielgruppen, den Kunden genau analysieren und kennen muss, um ihn optimal zu bedienen. Parallel gilt es regionale und lokale Gegebenheiten zu berücksichtigen und die richtige Ansprache zu finden. Ein Copy & Pace wird nicht funktionieren.
- Welche Händler in welchen Ländern sind Vorreiter? Haben Sie auch ein oder zwei Best Practice Beispiele?
Martin Wild: Es gibt zahlreiche spannende Beispiele, viele davon sind in unserem Buch zu finden. Aber wenn Sie mich fragen, was es darüber hinaus gibt, sollte man sich in Sachen kassenlosem Bezahlen die Ansätze von JD.com aus China oder Amazon Go anschauen. Grundsätzlich gibt es aktuell in China viele neue Konzepte, die dort sehr schnell verprobt und auch ausgerollt werden. Wir schließen hier gerade auf – Anfang des Jahres mit unserem kassenlosen Laden in Innsbruck und seit dem 5. Dezember 2018, indem Kunden im größten Consumer Electronics Markt der Welt, dem Saturn Hamburg, kassenlos bezahlen können.
Marc Knoppe: Die Entwicklungen sind kaum noch zu überblicken. Neben Alibaba in China hat auch Walmart in den USA sehr gut aufgeschlossen und tritt mit vielen eigenen Lösungen in Konkurrenz zu Amazon & Co. Neben den bekannten Konzernen gibt es auch eine Vielzahl an unbekannteren Händlern wie zum Beispiel Vitafy oder HappySize. Martin Wild und ich haben uns dazu entschlossen, ein weiteres Werk an den Start zu bringen, um neue Trends und Innovationen im Handel aufzuzeigen.
Knoppe, Marc, Wild, Martin (Hrsg.): Digitalisierung im Handel: Geschäftsmodelle, Trends und Best Practice, 2018, https://www.springer.com/de/book/9783662552568#