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Billa Vorstand Harald Mießner und Habibi & Hawara-Mastermind Martin Rohla.

Wiener Schnitzel meets Falafel

Billa Marktküchen starten Kooperation mit Habibi & Hawara, die Ladengastronomie legt heuer beim Umsatz wieder zu.

Bericht: Hanspeter Madlberger

Wien isst anders. Und Billa unternimmt in der weltoffenen Bundeshauptstadt einen bemerkenswerten Vorstoß im kleinen, aber feinen Marktsegment von Ethnic & Ethic Fast Food. Im Restaurant des Billa Corso in den Wiener Ringstraßen Galerien und in vier weiteren Billa Plus Marktküchen in Wien (2., Olympiaplatz, 10., Wienerbergstraße, 11., Swatoschgasse, 15., Europaplatz/Westbahnhof) schwingt seit 14. Juli Habibi & Hawara, eine Restaurantkette, fokussiert auf österreichisch-orientalische Fusionsküche, den Kochlöffel.  

Habibi & Hawara, 2016 gegründet von Martin Rohla (bekannt aus der Puls4 Sendung  "Zwei Minuten, zwei Millionen"), hat es sich zum Ziel gesetzt, Immigranten und Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und Osteuropa berufliche Perspektiven im Gastgewerbe zu eröffnen und mit dem Menüangebot die kulinarischen Traditionen ihrer Herkunftsländer zu bespielen. "Austrian Oriental Friends & Food Fusion" lautet der Claim, mit dem H&H in der überreichen im besten Sinn des Wortes multikulturellen Wiener Gastronomielandschaft punktet. Zu den fünf eigenen Restaurants gesellen sich nun im ersten Schritt fünf (von insgesamt 60) Billa Plus Marktküchen. Über die Umsätze dieser Systemgastronomie-Kette, die rund 800 Mitarbeiter beschäftigt, hüllt sich Harald Mießner, im Billa-Vorstand für den Vertrieb zuständig, in Schweigen. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Billa-Restaurants im Ranking der zehn führenden Systemgastronomie-Ketten Österreichs aufscheinen. Billas Hauptmitbewerber Spar dürfte, was den Umsatz der Interspar Restaurants betrifft,  die insgesamt mehr als 900 Mitarbeiter beschäftigen, in Augenhöhe mit den Billa Plus Marktküchen liegen

Synergien zwischen Supermarkt und Marktküche

Das Zusammenspiel von Feinkost-Supermarkt und Ladenrestaurant birgt für Mießner viele Synergien. "Beide Betriebe profitieren von der wechselseitigen Frequenzsteigerung", betont er gegenüber retailreport.at. Vor allem aber ist der eigene Restaurantbetrieb die ideale Ausbildungsstätte  für das Bedienungspersonal an der Feinkosttheke. Dazu kommt die Zusammenarbeit in der Logistik. Die Billa Weinabteilung gibt den perfekten, weil reich bestückten vor Ort-Weinkeller für die Weinbar im Restaurant  ab. Die just-in-time-Verfügbarkeit von Frischwaren (Obst und Gemüse, Frischfleisch, Frischfisch) bereichert die Menükarte und hilft zugleich dem Supermarkt bei der Abfallvermeidung. Sofern hochqualifizierte Fachkräfte in beiden Absatzbereichen diese Jonglierkunst beherrschen.

Rund um den Globus gibt es zahllose Beispiele geglückter Symbiose von Lebensmittelhandel und Gastronomie. Von den amerikanischen Grocerants über Eataly (zuletzt leider außer Tritt geraten) bis zu den Schlemmerständen im Berliner KaDeWe und im Londoner Konsumtempel Harrod`s. Übrigens profiliert sich auch die Creme der deutschen Rewe- ( und Edeka-) Einzelhändler mit Feinkostmärkten in City-Lagen, die ihre betuchte Kundschaft zum Sofortverzehr der angebotenen kulinarischen Kostbarkeiten einladen. Man darf gespannt sein, wann ab 2023 der erste Billa Plus Kaufmann die Gastro Karte spielt. In der Reihen  der Adeg gibt es schon lange Einzelhändler, die diese kulinarische Doppelbegabung eines Grocerant drauf haben.

Ladengastronomie legt heuer wieder zu

Nach den Corona Lockdowns in den Jahren 2020 und 2021 erlebt die Ladengastronomie in  Österreichs Supermärkten heuer einen deutlichen  Aufschwung. Mießner bestätigt diesen Trend als Top-Verantwortlicher der Billa Plus Marktküchen. Im Interview mit der LZ-Onlineausgabe vom 15.7. sagt Interspar Geschäftsführer Johannes Holzleitner: "Unser Plan ist es, in diesem Jahr den Umsatz (gemeint ist jener in den Interspar-Restaurants) von 2019 zu erreichen". Wegen der oben genannten Synergien hat die Ladengastronomie der Supermarktketten gute Chancen, im Wettbewerb mit den klassischen Restaurants und Wirtshäusern um den Share of Stomach zu punkten. Das Problem Personalmangel ist in der Ladengastronomie weniger gravierend, weil man sowohl bei Billa wie auch bei Interspar in Lockdown-Zeiten keine Restaurant-Mitarbeiterinnen entlassen hat, sondern sie in den Märkten beschäftigte.

Mit Wlascheks Billateria fing alles an

Der Hang zur Ladengastronomie hat im Billa-Reich eine lange Tradition. Die Billateria in der Wiener Innenstadt, nahe der Kärntnerstraße und dem Stephansplatz gelegen, galt als Lieblings- und zugleich Sorgenkind des Firmengründers Karl Wlaschek. Der seinerseits ein leidenschaftlicher Gourmet war und bei seinen legendären Parties für Freunde aus der Markenartikelindustrie nicht nur in die Klaviertasten, sondern auch zum Trüffelhobel griff. Um die Gerichte, die er seinen Gästen vorsetzte, geschmacklich mit hauchdünn geschnittenen Scheiben der sündteuren piemontesischen Knolle zu verfeinern. Zu Wlascheks Vorzeige-Immobilien zählte das Haas Haus am Stephansplatz, wo das Do&Co-Restaurant rasch zum Mekka der Wiener Feinschmecker-Society avancierte. Vom Catering-Unternehmen der Dogudan-Famlie beziehen Billa Plus Märkte die  Frischfertiggerichte der Marke Henry. Weiters arbeiten die Marktküchen mit Delitaly`s und Eat Happy, sowie, bei der Zustellung mit mjam zusammen. Gescheitert ist übrigens die Zusammenarbeit zwischen dem ehemalige Merkur (jetzt Billa Plus) am Hohen Markt und der aus Fernost stammenden Starköchin Kim, die das Restaurant Kim kocht gleich neben der Volksoper gelegen, betreibt.

Austro-orientalische Fusionsküche: Menschen- und Margen-freundlich

Die Partnerschaft mit Habibi & Hawara rückt nicht nur Billas Fremdenfreundlichkeit in ein mildes, imageförderndes Licht, sie kann auch als kluger ökonomischer Kundenbindungs-Schachzug gewertet werden. Das rasche Bevölkerungswachstum Wiens ist in hohem Maße auf den Zustrom von  Immigranten aus Osteuropa und dem Orient zurückzuführen. Diesen zugewanderten Familien Arbeitsplätze zu bieten und ihnen die Integration zu erleichtern, indem das Waren- und Speisenangebot an die Esstraditionen ihrer Herkunftsländer anknüpft und sie mit Fast Food Convenience anreichert, ist eine frequenzfördernde Marketingstrategie. In einer Zeit, da die von der Erdgas-Krise befeuerte Inflation die ohnehin extrem knappen Nettomargen des Lebensmittelhandels halbiert (so die Einschätzung Mießners) sind steigende Gastro-Umsätze, begleitetet von vergleichsweise höheren Gastro-Margen ein Trostpflaster, zumindest mit Placebo-Wirkung.

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geschrieben am

15.07.2022