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Aufbruchsstimmung trotz Gewinneinbruch

Hanspeter Madlberger: So durchtauchen deutsche Handelsriesen die Krise.

Lidl/Kaufland diversifiziert im Stil von Amazon
Aldi Süd und Aldi Nord bündeln global den Einkauf
Rewe Touristik reitet mit eigenem Hotel in Ampflwang ein

Es geht rund im europäischen Lebensmittelhandel, in dem Deutschlands Big Four eine große Rolle spielen. Kostenanstieg und Umsatzeinbußen, geschuldet dem globalen Krisenstakkato,  hinterlassen auch in den Jahresbilanzen 22/23 der Branchenriesen tiefe Spuren. Beim Kölner Rewe Konzern sank der Gewinn im letzten Geschäftsjahr, das per 28. Februar endete, um 33,4%  gegenüber dem Vorjahreswert. Auch aus der Edeka Zentrale war zu hören, dass die Überschüsse zuletzt deutlich geschrumpft sind. Die Schwarz-Gruppe mit den beiden Einzelhandelsformaten Lidl und Kaufland, meldet zwar für das GJ 22/23 ein Rekord-Umsatzplus von 15,4%, zwölf Monate zuvor lag es nur bei 6,6%. Die Neckarsulmer halten sich jedoch, wie es einem lupenreinen Familienunternehmen zusteht, bedeckt, was die Entwicklung der Ertragslage betrifft, Medien wie Handelsblatt und Manager Magazin mutmaßen indes, dass der Gewinn der Schwarz Group von knapp drei Milliarden im GJ 21/22 auf rund 1,5 Milliarden Euro geschrumpft ist.  Bei Verkaufserlösen von 158, 9 Mrd. ergibt das eine Umsatzrendite von rund 1%. Dass Aldi Nord 2022 sogar einen Verlust einfuhr, machte schon vor Monaten die Runde im  deutschen Fachblätterwald. Gierflation im Lebensmittelhandel? Fehlanzeige!

Wir halten fest: Ertragsdelle im laufenden Geschäftsjahr ist für die großen Supermarktketten und erst recht für die Food-Discounter zu verkraften. Der Nonfood-Fachhandel, vor allem die Fashion-Branche und die kleinen Nahversorger-Kaufleute tun sich da wesentlich schwerer.  Ja, sogar die Otto Group, Deutschlands führender Onlinehändler und Amazon-Herausforderer, kämpft mit Ertragsproblemen. “Der Konzernumsatz stagniert, die Marge erodiert“, befindet die Wirtschaftswoche vom 30.6. 

Wie das ultimative Führungszeugnis für die Bosse der LEH-Konzerne ausfällt aber hängt davon ab, welche strategischen Weichenstellung sie zur Bewältigung der künftigen Herausforderungen, vornehmen. Was die Sache so spannend macht: Die Strategieansätze der Herrschaften an den Schalthebeln der Handelsmacht sind sehr, sehr unterschiedlich.

Schwarz Group erobert mit neuem Chef neue Geschäftsfelder

Die ambitioniertesten Ziele verfolgt zweifellos Gerd Chrzanowski (51), seit Ende 2021 als Nachfolger von Klaus Gehrig die neue Nummer Eins im Managerteam; das Firmenpatriarch Dieter Schwarz (83) um sich scharte. Wie kein anderes  Handelsunternehmen des Kontinents investiert die Mutter von Lidl und Kaufland in eine Reihe neuer Geschäftsfelder:

  • Das konzerneigene Müllrecycling Unternehmen Prezero brachte es innerhalb weniger Jahre auf einen Umsatz von 3,9 Mrd. Euro.
  • Die Eigenproduktion von Lebensmitteln und Getränken wird zügig ausgebaut. Bon Pasta (ehemals Erfurter Teigwaren) ist heute der größte Teigwarenproduzent Deutschlands. Die eigene Kaffeerösterei, 2022 in  Betrieb genommen produziert jährlich über 50.000 Tonnen Bohnenkaffee. Zu internen Verrechnungspreisen soll die Schwarz Produktion inzwischen 3,4  Milliarden Euro umsetzen, weiß das Handelsblatt zu berichten. Und ist damit dem Oetker-Konzern auf den Fersen, der zuletzt 3,58 Mrd. schaffte.
  • Weiters hat sich Schwarz hat sich eine eigene Flotte von acht Containerschiffen zugelegt, eine Investition in erhöhte Versorgungssicherheit und durchaus angemessen einem Einzelhändler, der mittlerweile im globalen Umsatzranking hinter WalMart, Amazon und Costco den vierten Platz einnimmt.

Digitalisierungs-Offensive  auf den Spuren von Amazon

Die stärkste Offensivpower aber mobilisiert  Chrzanowski auf dem weiten Feld der Digitalisierung. Und positioniert sich damit als europäischer Herausforderer des Branchenprimus Amazon.

  • Im Onlinehandel, für den die Hypermarkt-Tochter Kaufland hauptverantwortlich zeichnet, erreichte man zuletzt ein jährliches Umsatzvolumen von 1,9 Milliarden Euro. Dabei spielt die Plattform kaufland.de eine Rolle. Auf das Internet-Geschäft mit Lebensmitteln will man sich dennoch nicht einlassen, das Hauptgewicht liegt also bei den Nonfood-Gebrauchsgütern, die im stationären Aktions-Geschäft an Bedeutung verloren haben.
  • Mit der Tochterfirma Strackit wurde ein eigenes Cloud-System aufgebaut, das Unabhängigkeit von den US-IT-Giganten wie Google oder Microsoft gewährleisten soll, aber auch mittelständischen Partnern die Möglichkeit bietet, Rechnerkapazität kostengünstig auszulagern. Auch in diesem dynamischen Geschäftsfeld matchen sich die Deutschen mit Amazon. In Seattle  macht man sich mittlerweile daran, mit dem Projekt Kuiper über mehr als 3.000 eigene Satelliten ein globales Mobilfunk-Netzwerk aufzubauen, seinen e-Commerce Kunden in aller Welt einen preiswerten Internet-Zugang zu bieten und zugleich den Telekommunikations-Konzernen entgegenzutreten.
  • Für eigenes Aufsehen  sorgte  der Erwerb des israelischen Unternehmens XM Cyber, das auf die Abwehr von Hackerangriffen spezialisiert ist.
  • Last but not least hat man auch in Sachen Künstliche Intelligenz (KI) Großes  vor. Gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg will die Dieter Schwarz Stiftung im kommenden Jahr in Bad Friedrichshall einen Forschungs-Campus errichten, das 5.000 IT-Fachleute beschäftigen wird, die KI-Innovationen, made in Germany entwickeln sollen.

 

Aldi Süd und Aldi Nord:  Unterwegs zum gemeinsamen Einkauf?

Ausgesprochen bieder und dem Discounter-Kerngeschäft verhaftet, nimmt sich im Vergleich zu den buchstäblich himmelstürmenden Schwarz-Plänen die strategische Neuausrichtung der beiden Aldi-Schwesterfirmen  aus. Von einem „neuen Anlauf für die Mega-Fusion von Aldi Süd und Aldi Nord“ spricht die aktuelle Juli-Ausgabe des  Manager Magazins. Es geht -  erraten! - um einen weiteren Versuch, den Wareneinkauf der beiden Discount-Imperien enger miteinander zu verschränken und damit die Nachfragemacht gegenüber den nationalen und internationalen Eigenmarken-Produzenten, aber auch den handverlesenen Lieferpartnern aus der Markenartikel-Industrie weiter zu stärken. Ob sich die Erben von Karl und Theo Albrecht tatsächlich auf eine  totale Verschmelzung der beiden weltweit agierenden Firmen verständigen werden, ist weiterhin offen.

Mit einem Umsatz von 121 Milliarden Euro  belegte die Aldi- Gruppe laut Deloitte-Schätzung  zuletzt Rang Sechs im globalen Einzelhändler-Ranking. Was die Ertragslage betrifft, ist Aldi Süd mit Hofer als Vorzeige-Tochter, deutlich besser aufgestellt als Aldi Nord. Was liegt also näher, als die in Salzburg angesiedelte, global ausgerichtete Aldi Süd Holding als Einkaufsplattform auch für das Warengeschäft der Schwesterfirma zu nutzen. Branchenkenner sehen in den sehr unterschiedlichen Unternehmenskulturen von Süd und Nord große Hürden für eine endgültige „Wiedervereinigung“. In  der Mozartstadt führt seit kurzem Tom Daunt ((51), der zuvor Aldi Australien (570 Filialen) leitete, zusammen mit Thomas Ziegler (56) die Geschäfte.

Ob der als  besonders dynamisch und kommunikationsfreudig beschriebene Australier in Austria neue Wege bei der Sortimentsgestaltung  und den damit verbundenen Lieferketten in den Aldi Märkten beschreiten wird, ist zurzeit noch nicht absehbar. Fest steht, dass der „Hofer-Cluster“ mit den Landesgesellschaften in Österreich, Slowenien, Schweiz, Ungarn und Italien mit der Strategie, einer engen Zusammenarbeit mit den  Frischwaren-Produzenten  (Mopro, Fleisch/Wurst, Brot/Backwaren) des jeweiligen Landes auch in schwierigen Zeiten sehr gut gefahren sind, steht für Branchenkenner außer Zweifel. Der Erfolg der Bio-Premium-Handelsmarke Zurück zum Ursprung aber auch die langjährige Zusammenarbeit zwischen Hofer Sattledt und der Firma Spitz als Lohnerzeuger zahlreicher Hofer-Eigenmarken in vielen Warengruppen beweisen, dass auch ein Discounter von Weltformat mit Regionalität bei einer von Patriotismus beseelten Kundschaft, wie der unsrigen gut fährt.   
Hier die richtige, nämlich den lokalen Kundenwünschen entsprechende Balance zwischen einem regionalen und überregionalen Angebot zu finden, bleibt für Aldi wie für Lidl aber auch Rewes Penny die große Herausforderung.

Rewe errichtet erstes eigenes Aldiana Clubhotel im Reiterdorf Ampflwang

Während bei Lidl und Aldi das Top Manager-Karussell heftig rotiert, steht  Rewe-CEO Lionel Souque für Kontinuität an der Spitze des Kölner Genossenschaftskonzerns. Seit 27 Jahren  steht der heute 51 Jährige, gebürtige Pariser in Diensten der Rewe, seit mittlerweile sechs Jahren ist er ihr Vorstandschef. Behutsam gesetzte Expansion ist sein Markenzeichen und dank dieser Strategie gelingt es ihm, auf europäischer Ebene im Wettbewerb mit den beiden Discount-Großmächten Schritt zu halten. Der Erwerb des Convenience-Großhändlers Lekkerland in Deutschland und in einigen anderen europäischen Ländern (ausgenommen Österreich und Schweiz) war ein viel beachteter Schachzug. Das gemeinsam mit der französischen Großhändler-Genossenschaft Leclerc in Brüssel eingerichtete Einkaufsbüro Eurelec beschränkt sich, wie Souque gegenüber der „Wirtschaftswoche“ betonte, auf eine „zweistellige Anzahl von Lieferanten, von insgesamt rund 10.000“. Es handle sich dabei um „multinationale Konzerne, die mit uns und unseren Partnern nur ein bis zwei Prozent des Umsatzes machen.“ Von einer Übermacht der Händler könne daher keine Rede sein.

Ein starker Player ist hingegen die Rewe in der  Touristikbranche, die nach den verlustreichen Corona-Jahren heuer wieder Fahrt aufnimmt. Die Reisetochter Dertour gilt als Europas zweitgrößter Reiseanbieter. Mit der Übernahme des Ferienclubs Aldiana engagiert sich die Rewe im Geschäftsfeld der auf Zielgruppen fokussierten Touristik-Hotels. Bislang durch Partnerschaften und Pachtverträge mit bestehenden Hotelanlagen in der Türkei, Ägypten und Österreich. Neuerdings durch die Errichtung  firmeneigener Clubhotels. Erstes Aldina Hotel im Rewe Eigentum wird das Urlaubsressort Aldina im Reiterdorf Ampflwang im oberösterreichischen Hausruckviertel sein. Ende Juni wurden die Verträge unterschrieben. Damit leistet die Rewe Group einen wertvollen Beitrag zur Steigerung des Incoming Tourismus in Österreich. Das schafft Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Land und stärkt die Bande zwischen Köln und Wiener Neudorf. Auch wenn AGM als Aldiana- Großhandelspartner nicht mehr zur Verfügung steht.

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geschrieben am

14.07.2023