Direkt zum Inhalt
Ein Diskurs über die Arten der Gentechnik und ihren erlaubten Möglichkeiten startet.

Appell: Neue Gentechnik auf dem Prüfstand

Gentechnik ist nicht gleich Gentechnik, die Verfahren haben sich im Laufe der Jahre verändert. Die Skepsis ist hoch, Handel und Industrie sind gefordert. Die EU denkt über Deregulierung nach.

Wenn wir „genetisch veränderte Lebensmittel“ hören, so gruselt es. Es genügt die Vorstellung, dass Pflanzen und eventuell auch Menschen in ihrer DNA verändert werden. Bemerkenswert war deshalb die Initiative der ARGE Gentechnik-frei, die bereits 1997 das Kontrollzeichen „Ohne Gentechnik hergestellt“ ins Leben rief und vergibt. Die Plattform vertritt rund 220 Betriebe, die das Kontrollzeichen führen. In Österreich sind 100% aller konventionellen Eier, Milchprodukte und Geflügelfleisch ohne Gentechnik hergestellt; der Ohne-Gentechnik Sektor erzielt Umsätze von knapp 2 Mrd. Euro pro Jahr.

Nun kommen neue Herausforderungen auf die Hersteller zu, denn Gentechnik ist nicht gleich Gentechnik. Auf wenig Zustimmung stoßen die aktuell in der EU zur Zulassung debattierten Verfahren der Neuen Gentechnik, wie z.B. Crispr/CAS, Talen oder ODM: Die von der EU-Kommission angestrebte Deregulierung dieser neuen Technologien im Rahmen der EU-Gentechnikgesetzgebung wird klar abgelehnt; von Österreichs Bundesregierung wird ein klares „Nein“ zu den Deregulierungsplänen der Kommission erwartet.

Bei der internationalen Expertenkonferenz zur Neuen Gentechnik in Wien am 21. Juni haben Umweltministerin Leonore Gewessler und Gesundheitsminister Johannes Rauch gemeinsam mit der ARGE Gentechnik-frei und zahlreichen Stakeholdern von den Vertretern der EU-Kommission ein klares Regelwerk auch für die Neue Gentechnik gefordert.

Was ist Crispr/CAS oder auch die Genschere genannt?

Das mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Verfahren, die Crispr/Cas-Methode ist eine molekularbiologische Methode, um DNA gezielt zu schneiden und zu verändern. Gene können mit dem System eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet werden. Die Genschere kann Pflanzen ertragreicher und resistenter machen. 

Der Unterschied: die klassische Gentechnik fügt Gene in das Genom (DNA) ein, Genom editing arbeitet dabei gezielter. Nun stellt sich die ernsthafte Frage, ob die Genschere tatsächlich mit der bisherigen Art der Gentechnik vergleichbar ist? Dazu würde es einen starken Diskurs brauchen, der nicht nur in Österreich, sondern auch in der EU, wenn nicht weltweit geführt werden muss. Denn eines ist sicher: mit all jenen Themen, die wir rund um Covid und Krieg in der Ukraine haben, wird es tatsächlich zu Hungersnöten in den heißen Ländern und somit zu weiteren Wellen an fliehenden Menschen kommen. Bräuchte es hier nicht eine globale Entscheidung, wie man mit der Landwirtschaft in diesen Ländern weiter verfahren soll?

Die aktuelle Situation in Österreich

In Österreich ist man sich weitläufig einig: keine Gentechnik in Lebensmitteln. ARGE Gentechnik-frei appelliert in aller Dringlichkeit an die heimische Lebensmittelwirtschaft, sich bis zum 22. Juli aktiv am Konsultations­verfahren der EU-Kommission zu beteiligen und mit klaren Positionen in Brüssel den hohen Stellenwert von Gentechnik-freien bzw. biologischen Produkten zu verteidigen.

Eine aktuelle Marktforschung (CAWI marketagent.com; n = 1.000; Mai 2022) zeichnet ein klares Bild der Einstellung der Österreicher

  • 61,3% der befragten Personen meinen, die Verfahren der Neuen Gentechnik sollten sowohl auf ihre Sicherheit geprüft als auch mit aller Transparenz als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden. Nur 6,4% sind der Ansicht, es brauche keine Prüfung auf Sicherheit oder Kennzeichnung.
  • 57,7% der Konsumenten erklären, derartige Produkte nicht kaufen zu wollen.
  • 63,4% sind der Ansicht, dass Produkte aus der Neuen Gentechnik genauso streng kontrolliert und geregelt werden sollen wie solche aus der bisherigen Gentechnik.
  • 77,4% befürchten, dass die hohe Qualität der österreichischen Landwirtschaft durch die Verfahren der Neuen Gentechnik in Gefahr gebracht wird.
  • 83,7% meinen, dass die Herausforderungen für Landwirtschaft in Zukunft nicht durch Gentechnik, sondern durch andere Landwirtschaftsformen wie z.B. Bio bzw. weniger industrialisierte Landwirtschaft gelöst werden sollen.
  • 90,7% erwarten von der österreichischen Bundesregierung einen engagierten Einsatz für weiterhin strenge Kontrollen bei allen Formen der Gentechnik.
  • Für 83,1% ist Gentechnik-freie Produktion ein wichtiges Kaufmotiv; 71,4% der Konsumenten sind auch bereit, dafür mehr zu bezahlen.
  • Das Kontrollzeichen „Ohne Gentechnik hergestellt“ zählt zu den wichtigsten Gütesiegeln in Österreich: es ist bei 83,0% bekannt, gleich hinter AMA Gütesiegel (95,4%) und Fairtrade (93,1%), und wird von 81,1% als glaubwürdig eingeschätzt, gleich hinter Fairtrade (86,2%)

Gentechnikfrei und der Lebensmittelhandel

Die am 29. April von der EU-Kommission gestartete, 12 Wochen dauernde öffentliche Konsultation zu „Rechtsvorschriften für Pflanzen, die mit bestimmten Neuen Genomischen Techniken (NGT) erzeugt wurden“, wurde in den letzten Wochen von zahlreichen Playern aus Lebensmittel­produktion und -handel sowie aus Politik und Zivilgesellschaft scharf kritisiert. „Die entscheidenden Weichen für den weiteren Erfolg der europäischen Ohne Gentechnik- bzw. der Bio-Produktion werden in den nächsten Monaten in Brüssel gestellt. Die Ohne-Gentechnik Lebensmittelbranche – also u.a. ein Großteil der heimischen Hersteller und Händler – sollte daher in aller Deutlichkeit die hohe Relevanz der Ohne Gentechnik-Produktion sowie die Notwendigkeit, diese langfristig gesetzlich abzusichern, im Zuge des Konsultationsverfahrens vorbringen“, so Markus Schörpf, Obmann der ARGE Gentechnikfrei.

Und auch Global2000 setzt sich vehement gegen eine Deregulierung ein: Noch unterliegen Lebensmittel, die mit Methoden der Neuen Gentechnik, wie zum Beispiel der so genannten “Genschere” CRISPR/Cas, produziert wurden, den strengen Regeln des EU-Gentechnikrechts für Landwirtschaft und Lebensmittel. Die Initiative ”Pickerl drauf!” der Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 stärkt der österreichischen Bundesregierung den Rücken dabei, sich bei der EU-Kommission für die strenge Regulierung und Kennzeichnungspflicht von Neuer Gentechnik in Lebensmitteln einzusetzen. In einer eigenen Aussendung der NGO sprachen sich alle CEOs der großen Lebensmittelhändler Spar, Rewe, Hofer, Lidl gegen eine Deregulierung aus.

Ein Wort noch zu den Futtermitteln

Markus Schöpf: "In Österreich wurde bereits im Jahr 1998 die Codex Richtlinie für Gentechnik-frei erzeugte Lebensmittel erarbeitet. Diese beinhaltet auch ein Verbot für gentechnisch veränderte Futtermittel. Ebenso gibt es eine klare Vorgangsweise bei den diversen Hilfs- und Zusatzstoffen. Die beiden EU-Verordnungen 1829/2003 über gentechnisch veränderte Futter- und Lebensmittel sowie 1830/2003 über Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung haben die Lücke bei Futtermitteln und Hilfs- und Zusatzstoffen offengelassen. Damit gilt für ohne Gentechnik erzeugte Lebens- und Futtermittel in Österreich die Codex Richtlinie. Diese wurde im Laufe der Jahre in Teilen angepasst. Die letzte Veränderung wurde 2017 aufgenommen. Auch in weiteren Mitgliedsstaaten der EU gibt es vergleichbare Richtlinien bzw. Verordnungen.

Bericht: Gabriele Jiresch

 

Kategorien

geschrieben am

07.07.2022