Masken-Stress, Online-Frust, Smart Shopping-Lust
Bericht: Hanspeter Madlberger
Auch wenn die Öffentlichkeit bisher davon wenig Notiz nahm: Der Grusel-Cocktail aus Pandemie-, Energieversorgungs-Krise, Klimawandel und Teuerungs-Schock setzt auch Österreichs Shopping Malls und innerstädtischen Einkaufsquartieren ordentlich zu. Entsprechend umfangreich ist der Problemkatalog, mit dem sich der neue Obmann des Austrian Council of Shopping Places (ACSP), Christoph Andexlinger (im Hauptberuf Chef des Zentren-Marktführers SES) auseinanderzusetzen hat. Im Wesentlichen geht es um die Fragen:
o Wie lässt sich vor diesem düsteren wirtschaftspolitischen Hintergrund die Zusammenarbeit zwischen den Zentren-Betreibern und dem breiten Spektrum ihrer Pächter, vom Einzelhandel über die Gastronomie bis zu diversen sozialen Einrichtungen, verbessern?
o Ist die drohende Verödung der Innenstädte, in Deutschland ein viel beachtetes Phänomen, bei den heimischen Kommunen und ihrem "Stadtmarketing" schon angekommen?
o Und: Wie gut eignen sich Mixed Use-Konzepte, um die Umsatzdellen auszugleichen, die der boomende Onlinehandel den Marktplätzen des stationären Handel zugefügt hat?
Darüber sprach retailreport.at mit ACSP-Obmann Christoph Andexlinger und Roman Schwarzenecker (Standort + Markt),mdem Generalsekretär von ASCP. Dieser dokumentiert und analysiert seit Jahrzehnten zusammen mit Hannes Lindner die Entwicklung in den Shopping Malls und den City-Einkaufsstraßen.
Masken-Freiheit für Besucher der Malls, aber bitte rasch!
Dringendstes Anliegen des ACSP aber ist zur Zeit die Abschaffung der vom Gesundheitsminister vorgeschriebenen Maskenpflicht für Teilbereiche des Handels, insbesondere für die Besucher der Malls von Einkaufszentren. Sie gilt vorläufig bis 8. Juli, erst dann wird über eine Aufhebung entschieden. Die Situation ist ja wirklich grotesk: Beim Betreten der Mall eines Shopping Centers müssen die Besucher die Maske anlegen, wenn sie einen Shop betreten (ausgenommen sind Supermärkte, Drogeriemärkte, Apotheken, Trafiken) können sie diese ablegen. Andexlinger: "Wir vom ACSP fordern: Die Maskenpflicht für die Malls muss so schnell wie möglich abgeschafft werden. Wenn sie für die Schulen mit dem Argument der Eigenverantwortung bei Lehrern und Schülern aufgehoben wird, sollte diese Regelung auch für den gesamten Handel gelten, der ja nie ein Corona-Hotspot war". Der Ruf nach Aufhebung der Maskenpflicht für den "lebensnotwendigen Handel" wurde zuletzt, ungeachtet anhaltender Bedenken einiger Virologen, immer lauter, wie auch die letztwöchige Aussendung des Handelsverbandes zeigt.
Umsatzminus 19/21: 1,25 Milliarden Euro
Die Corona Pandemie, die nun schon seit über zwei Jahren die Welt in ihrem Bann hält, beflügelt die Umsätze der Online-Marktplätze und behindert das Geschäft der stationären Shopping Places mit noch nie da gewesener Wucht. In Österreich verzeichneten laut jüngstem Shopping Center Report von S+M die Shopping Malls und Retail Parks im Jahr 2021 gegenüber dem Vergleichsjahr 2019 ein geschätztes Umsatzminus von 1,25 Milliarden Euro und damit ein Minus von 9%. Die Besucherfrequenz ging demnach um 18,4 % zurück. Besuchshäufigkeit und Einkaufsverhalten veränderte das stachelige Virus dramatisch. Während die Frequenzbringer-Funktion der Verbrauchermärkte als "Food-Anchors“ überragende Bedeutung erlangte, stürzte der Modehandel regelrecht ab. Österreichs stationärer Bekleidungshandel musste im Vergleich 2019 zu 2021 Umsatzeinbußen im Ausmaß einer Milliarde Euro hinnehmen, ein Minus von 19%. Fashion aber ist der Frequenzmotor der City-Einkaufsstraßen und der Warenhäuser.
Konfliktthema: Fixkosten-Zuschuss
Mit den von der Pandemie ausgelösten Umsatzeinbußen im stationären Handel wurde die Beziehung zwischen den Zentrenbetreibern und ihren Bestandnehmern einer schweren Belastungsprobe unterzogen. Fixkosten-Zuschüsse im Rahmen des Corona-Hilfspakets der Bundesregierung flossen ausschließlich an die Händler, die Bestandgeberseite ging leer aus. Der ACSP-Obmann: "Für alle Zentren-Betreiber eine Riesen-Challenge! Mieteinnahmen von Shopping-Center-Betreibern sind keinesfalls mit dem Gewinn gleichzusetzen, außerdem sind die Investitionen in Handelsimmobilien meist überwiegend fremdfinanziert." In der Frage der Mietenreduktionen zur Abfederung der Umsatzausfälle trafen Bestandgeber und –nehmer individuelle Regelungen. Je nach Branche und Notwendigkeiten wurden die Pachten bis zu 50% für die Zeiten der Lockdowns reduziert.
Für Aufregung in der Branche sorgte auch die Zuteilung von Fixkosten-Zuschüssen: manche Filialisten im Nonfood-Bereich erhielten bei den Fixkosten-Zuschüssen aufgrund der Tatsache, dass sie alle ihre Standorte in einer GmbH führten, nur einen einmaligen Zuschuss, was nicht im Sinne des Erfinders sein konnte. Umgekehrt erhielten Unternehmen, die jeden Standort in einer eigenen Firma führten, richtigerweise für jeden Standort eine Förderung, sofern die Kriterien erfüllt wurden.
Mega-Investitionen in Grüne Energie
Der Klimawandel sorgt dafür, dass den Zentren-Betreibern und -Bestandnehmern in Sachen Pacht-Neugestaltung der Diskussionsstoff nicht ausgeht. Denn an die Corona-Herausforderung schließt sich nahtlos jene der Energiewende an. Mit dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern müssen die Zentren erhebliche Investitionen in die Umstellung auf nachhaltige Heizungs-, Belüftungs-, Kühl- und Klimatisierungs-Anlagen tätigen. Da zeichnet sich ein Mega-Kooperations-Projekt für die Zentren-Community ab, die in Österreich für rund ein Viertel aller Einzelhandelsumsätze aufkommt. Andexlinger fordert in diesem Zusammenhang von allen Beteiligten eine "Grüne Stakeholder"-Gesinnung
Für Gesprächsbedarf zwischen Zentrenbetreibern und ihren Pächtern
sorgt auch das boomende Online-Geschäft des Nonfood-Einzelhandels. Manche international aufgestellten Großfilialisten konnten in der Corona-Krise ihren Internet-Handel sehr rasch ausbauen. Was natürlich zur Folge hatte, dass auch nach den Lockdowns die stationären Filialen von den Stammkunden der betreffenden Ladenmarke weniger häufig frequentiert wurden, wobei der Trend zwischenzeitig wieder in die andere Richtung geht: die Frequenzen in den Malls nähern sich wieder dem Niveau von 2019 oder liegen zum Teil schon darüber.
Steigende Leerstände in Bezirksstädten
Wie aber wirkten sich bisher diese gigantischen Umsatzverlagerungen auf die strukturelle Entwicklung der ACSP-Mitglieds-Firmen aus? Ein wertvoller Indikator ist die Leerstandsrate, wie sie von S+M im zwei Jahres-Abstand erhoben wird. Sie lag 2021 in den Einkaufszentren bei 4,2% und stieg im Vergleich zu 2019 nur geringfügig an.
Hingegen beträgt die Leerstandsrate in den Zentralbereichen der 25 größten Städte laut S+M aktuell 6,7%. Hohe Leerstände führen a la longue zu einer Verringerung der Einzelhandels-Verkaufsfläche. Schwarzenecker: "In den 25 größten Städten Österreichs ist die Retail-Verkaufsfläche von 1.1. 2021 auf 1.1. 2022 um 2% zurückgegangen. Dieser Schrumpfungs-Prozess ist abseits der Großstädte, also in den Bezirksstädten deutlich stärker ausgeprägt als in Wien und den Landeshauptstädten."
Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass dort das Händlersterben in den einst florierenden City-Einkaufsstraßen bereits dramatische Ausmaße angenommen hat. Eine Analyse des EHI spricht von einer sich verstärkenden Abwärtsspirale aus Frequenzverlusten, Leerständen und einer sinkenden Attraktivität der urbanen Shopping Places. Die "Initiative Stadtretter", 2020 gegründet, vereinigt mehr als 1000 Kommunen, Unternehmen und Verbände zu einem Netzwerk, das sich die Revitalisierung der Innenstädte zum Ziel setzt und den Internet-Erfahrungsaustausch über gelungene Lösungen pflegt. Sieben Stadtretter in Österreich weist Google Map zur Zeit aus: Wien Mariahilferstraße, Bad Vöslau, Waidhofen a/d Ybbs, Linz, Salzburg, Kufstein und Innsbruck.
Der Ruf nach Public Private Partnership
Beim ACSP-Kongress vom Herbst vergangenen Jahres - retailreport.at berichtete - wurde darüber diskutiert, dass beim großen Nachbarn Länder und Kommunen öffentliche Fördermittel in erheblichem Ausmaß für die Sanierung und Attraktivitäts-Steigerung der Innenstädte zur Verfügung stellen. Bei uns steckt diese Form von Public Private Partnership noch in den Kinderschuhen. Schwarzenecker: "Ein gemeinsames Leerstandsmanagement zwischen Wirtschaft und Stadtgemeinde nach deutschem Vorbild wäre schon sehr wünschenswert".
ACSP könnte da ein wichtiger Impulsgeber sein, zumal seine Mitglieder bereits eine Reihe strukturierter City-Einkaufs- und Begegnungs-Welten entwickelten: Andexlinger nennt da die SES Projekte der Seestadt Aspern in Wien und der Weberzeile in Ried. Und er betont die synergetische Partnerschaft zwischen Shopping Malls und Einkaufsstraßen, denn in Summe bilden Sie gemeinsam die Einkaufs-Attraktivität einer Stadt.
Erfolgsformel Mixed Use
Mixed Use Konzepte gelten nach Ansicht vieler Experten als Erfolgsformel zur Revitalisierung der Innenstädte. Die EHI Studie bringt es auf den Punkt: Es geht vor allem darum, junge Zielgruppen in die Innenstadt zurück zu locken. Und das gelingt durch Mixed Use, die multifunktionale Gebäudenutzung, die weit über Einzelhandel und Gastronomie hinausgeht, Büros und Coworking Areas, öffentliche Einrichtungen, wie Kindergärten Ärztezentren, Freizeit- und Kultureinrichtungen mit einschließt. Und eine starke digitale Komponente aufweist. Mixed Use Konzepte etablieren den Weg zur Smart City, befindet das EHI.
Das ACSP versteht sich gemeinsam mit anderen Stakeholdern als Motor die Multifunktionalität der Shopping Places an der Peripherie und in den City-Zentren systematisch voranzutreiben. Andexlinger will die Interessensvertretung zur Plattform für multifunktionale Marktplätze ausbauen, wo Immobilienbetreiber einerseits und Einzelhandel, Gastronomie, Freizeiteinrichtungen und Working Places andererseits die Themen der Branche gemeinsam diskutieren und neue Ansätze für die Weiterentwicklung entstehen. Und wo reales und digitales Shopping-Vergnügen gleichermaßen ihren Platz haben. Smart Shopping in Hybridzentren, ein europaweiter Trend. Die Smart Shoppers gibt`s ja schon längst.