„Das Glas ist halb voll“
Von Michaela Schellner
Nach vier Jahren geht es endlich wieder bergauf. Zum ersten Mal seit dem ersten Halbjahr 2021 konnte die Branche wieder ein reales Wachstum verzeichnen. Besonders erfreulich: Der Einzelhandel zeigte sich dabei mit einem Plus von 1,6 Prozent als treibende Kraft. Zulegen konnte auch die Kfz-Wirtschaft (+1,1 %); im Großhandel gab es hingegen einen Rückgang von 0,4 Prozent. Insgesamt wuchs der gesamte Handel (der alle drei genannten Handelssektoren umfasst) um 0,5 Prozent. „Das ist wirklich eine gute Nachricht“, zeigte sich Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der WKÖ erleichtert. Er mahnt aber auch zur Vorsicht: „Auch wenn das endlich eine Trendwende ist, auf die wir schon lange gewartet haben, über den Berg sind wir deshalb noch nicht. Aber die Richtung stimmt.“
Lebensmittelhandel wächst um 2,1 Prozent
Die präsentierten Zahlen stammen vom Institut für Österreichs Wirtschaft (iföw), das die Handelskonjunktur im Auftrag der Bundessparte analysiert hat. iföw-Chef Peter Voithofer geht noch weiter ins Detail. „Im Einzelhandel ist der Schuhhandel mit plus 7,5 Prozent Branchensieger, der allerdings durchwachsene Jahre hinter sich hat.“ Auf den Plätzen dahinter rangieren der Bau- und Heimwerkerbedarf (+ 6,1 %), Blumen (+ 5,0 %) und Drogerien (+ 3,8 %). Auch der Lebensmittelhandel ist mit plus 2,1 Prozent gewachsen. Am unteren Ende des Rankings sind der Schmuckhandel (-10,8 %), Bücher- und Zeitschriften (-10,3 %) und Spielwaren (-5,4 %). Der Schmuckhandel sei auch vom hohen Goldpreis belastet, so Voithofer, der weiter analysiert: „So positiv die Entwicklung für Österreich ist – im EU-Schnitt hinkt die Einzelhandelsentwicklung deutlich hinterher.“ Österreich rangiert im europäischen Vergleich nur auf Platz 17, deutlich hinter Deutschland auf Platz neun.
Inflationstreiber sei der Handel aber nicht, hält Voithofer fest: „Auch der Lebensmittelhandel hatte lange Zeit inflationsdämpfende Wirkung.“ Dass diese Einzelhandelssparte besser durch die Krise gekommen ist als etwa der Mode- oder Möbelhandel, sei gewissermaßen logisch. Denn auch wenn die Konsumlaune niedrig sei, werden Nahrungsmittel gekauft, um die Grundbedürfnisse zu decken. „Ja, die Branche entwickelt sich nominell entsprechend besser in den letzten Krisenjahren“, ergänzt auch Trefelik. „Aber daraus abzuleiten, dass hier die Branche die Ursache oder der Grund dieser Inflationsentwicklung ist, dieser Schluss ist für mich nicht zu ziehen. Da gibt es viele andere Faktoren wie etwa die Rohstoff- oder Energiepreisentwicklung.“ Außerdem hält der Branchen-Obmann fest, dass der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel an den Konsumausgaben seit zehn Jahren nahezu verändert bei 13,5 Prozent liege. Zur vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) im Auftrag des Sozialministeriums initiierten aktuellen Klage gegen Billa, Spar, Hofer und Lidl wegen angeblich irreführender Rabattauszeichnungen, könne sich Trefelik nicht äußern, da ihm diese noch nicht vorliege (siehe dazu auch Artikel „Jeder gegen Jeden und alle gegen einen“).
Die vergangenen, schwierigen Jahre hätten allerdings ihre Spuren hinterlassen. Erneut ist die Anzahl der Insolvenzen im Handel laut KSV1860 gestiegen. Mit 604 Fällen gibt es einen neuen Höchststand. Geringe Renditen und anhaltende Kostensteigerungen wirken sich zudem auf die Beschäftigungsentwicklung aus. „Im ersten Halbjahr gab es um 1,6 Prozent weniger Mitarbeiter im Handel“, so Voithofer. Insgesamt beschäftigte die Branche von Jänner bis Juni 557.785 Personen. Die Zahl der Arbeitslosen stieg um 10,7 Prozent auf 46.956. Parallel dazu nahm die Zahl der offenen Stellen deutlich ab.
Neue Qualifikation im Rahmen der Höheren Beruflichen Bildung
Die WKÖ setzt hier an und forciert ihre Initiativen zur Aufwertung der Lehre. So startete dieser Tage zum mittlerweile siebten Mal wieder eine Social Media Kampagne für die Lehrlingsausbildung auf TikoTok, Snapchat und – heuer neu – auf Youtube. Rund 50.000 Euro nimmt man dafür in die Hand, schilderte Sonja Marchhart, stellvertretende Geschäftsführerin der Bundessparte Handel. Ein Engagement, das sich auszahle, um die 26 Lehrberufe, die es im Handel gebe, zu promoten und das Image der Lehre sowie des Handels als Ausbildner zu stärken.
Zweitens wird im Rahmen des HBB-Gesetzes (Höhere Berufliche Bildung) ein System höherer beruflicher Qualifikationen für Führungsaufgaben im stationären Einzelhandel entwickelt. „Im Gewerbe beispielsweise gibt es die Meisterprüfung, die wir in dieser Form im Handel nicht haben. Hier wollen wir ansetzen.“ Ausgehend von praktischer Berufserfahrung bzw. einem Lehrabschluss wird deshalb ein neuer, formal anerkannter Abschluss auf den NQR-Leveln 5, 6 und 7 (Höhere Berufsqualifikation, Fachdiplom, Höheres Fachdiplom) im tertiären Bereich geschaffen. Der Start der Ausbildung ist für den 1. September 2026 vorgesehen.
Hoffnung, aber keine Euphorie
Der leichte Aufwärtstrend ist jedenfalls ein positives Signal für die Branche, aber die Unsicherheiten bleiben dennoch groß. Hohe Kostensteigerungen, eine noch immer zu hohe Inflation und Kaufzurückhaltung der Konsumenten sind weiterhin große Herausforderungen. „Dies zeigt, dass das Konsumentenvertrauen langsam zurückkehrt und sich die Steigerungen der Kaufkraft, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat, nun bemerkbar machen“, ergänzt Trefelik. Ob sich der Aufwärtstrend im zweiten Halbjahr fortsetzt, ist offen – die Prognosen bleiben vorsichtig. Hoffnung setzt die Branche vor allem auf das Jahr 2026, in dem ein stärkeres konjunkturelles Anziehen erwartet wird.
Brenzlig könnte es heuer allerdings noch einmal werden, wenn die Inflation in den Monaten August und September bei jeweils 3,7 Prozent liegt. Dann nämlich wackelt der im Vorjahr erzielte zweijährige KV-Abschluss. Damals wurde vereinbart, dass das Einkommensplus – abhängig von der Inflation – um maximal 2,9 Prozent steigt. Wird dieser Wert überschritten, muss neu verhandelt werden. „Wir hoffen, dass es sich wie vereinbart ausgeht“, betont Trefelik.